Walküre
einen Schwanz zu haben.«
»Ich bin nicht sexistisch, Anna, einfach nur praktisch.« Fabel konnte einen ärgerlichen Klang in seiner Stimme nicht verhindern. »Vergiss es. Ich werde selbst mit ihr reden.«
»Ich meinte nur ...«
»Ja. Anna. Du meinst immer nur. Ich werde das Verhör führen.« Er blickte auf seine Uhr. Es war 2.30 Uhr. »Werner, du bleibst hier. Anna, du hast Feierabend.«
»Ach, hör mal ... Ich wollte doch nur ...«
»Morgen um 14 Uhr halte ich eine Teambesprechung ab. Aber ich möchte dich vorher in meinem Büro sehen, Anna. Sei um 13 Uhr da«, befahl Fabel. Anna riss ihre Lederjacke von der Stuhllehne und stürmte hinaus.
»Das war ein bisschen schroff, Jan«, sagte Werner.
»Sie geht zu weit. Das weißt du doch. Ich habe es satt, dass jeder Befehl infrage gestellt oder kommentiert wird. Und es gefällt mir nicht, dass ich dauernd Beschwerden über Anna höre.«
»Das haben wir früher energische Polizeiarbeit genannt, Jan.«
»Die Tage sind vorbei, Werner. Seit Langem. Dies ist das einundzwanzigste Jahrhundert.«
»Aber sie hat nicht ganz unrecht, Jan.« Werner wirkte unsicher. »Ich meine mit der Männlich-weiblich-Sache. Du teilst Anna tatsächlich die meisten Vernehmungen von Frauen zu.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Nur darauf – bitte, versteh mich nicht falsch –, dass du dazu neigst, Frauen wie eine andere Art Mensch zu behandeln.«
»Wie kannst du das behaupten, Werner? Mein Team ist immer ausgewogen gewesen. Na ja, jetzt vielleicht nicht. Nicht seit ...«
Beide Männer schwiegen. Der Name Maria Klee hing unausgesprochen in der Luft.
»Schon gut, Jan«, sagte Werner eine Sekunde zu spät. »Ich finde nur, du solltest Anna etwas nachsichtiger behandeln.«
Fabel wurde durch eine Beamtin am Antworten gehindert, die ein Mädchen in dunklen Jeans und Steppanorak in den Raum führte. Sie umklammerte eine Wollmütze und einen Schal. Fabel vermutete, dass sie kein Strichmädchen war, denn die Prostituierten, die um die Herbertstraße herum arbeiteten, kleideten sich bunt, scharten sich zu Gruppen zusammen und hielten, ob es feucht war oder nicht, pastellfarbene Regenschirme hoch, um möglichen Kunden anzuzeigen, dass sie verfügbar waren. Ihre aufgesetzte Fröhlichkeit sollte bewirken, dass ihre Kunden sich weniger schäbig fühlten.
Fabel bemerkte, wie jung das Mädchen war. Sie sah nicht viel älter aus als Gabi, seine eigene Tochter. Er forderte sie auf, sich zu setzen, und bemühte sich, ihr die Angst zu nehmen. Christa Eisel war hübsch – sehr hübsch – und hatte schulterlange blonde Haare. Aus der Einfachheit ihrer Kleidung und ihrer Attraktivität schloss Fabel, dass sie eines der Schaufenstermädchen aus der Herbertstraße war und erst kurz vor der Arbeit etwas Aufreizenderes anlegte. Während des Gesprächs knetete Christa die Mütze und den Schal auf ihrem Schoß, doch in ihren Augen spiegelte sich ein gewisser Trotz wider.
»Das müssen wir Ihnen leider wegnehmen«, sagte er lächelnd.
Sie senkte den Blick auf ihre blutbefleckte Jacke. »Die kann ich sowieso nicht mehr gebrauchen. Ich habe meine Handschuhe unten gelassen. Sie sind auch verdorben.« Das Mädchen schlüpfte aus der Jacke und reichte sie Fabel. Werner legte das Kleidungsstück in einen großen Spurensicherungsbeutel aus Plastik.
»Wie lange arbeiten Sie schon in dieser Gegend, Christa?«, fragte Fabel.
»Sechs Monate. Nur an den Wochenenden. Und nicht an jedem. Ich habe einen Platz in einem der Fenster, und hin und wieder arbeite ich auch als Hostess.«
»Müssen Sie eine Sucht finanzieren, Christa? Entschuldigung, aber die Frage muss ich stellen.«
Das Mädchen wirkte aufrichtig verblüfft. »Nein ... nein, natürlich nicht.«
»Was machen Sie? Ich meine, wenn Sie nicht hier arbeiten.«
»Ich bin Studentin. An der Uni Hamburg.«
»Tatsächlich? Da war ich auch. Ich habe Geschichte studiert. Und Sie?«
»Medizin.«
Fabel musterte sie einen Moment lang. »Medizin? Also warum ...?«
»Geld. Ich muss mir etwas dazuverdienen.«
»Aber auf diese Art?«
»Wieso nicht?« Wieder glitzerte Trotz in ihren Augen. »Viele Studentinnen tun das wegen zusätzlicher Einnahmen.«
»Sie sind ein intelligentes, hübsches Mädchen, und vor Ihnen liegt ein Leben voller Chancen, Christa. Ich begreife einfach nicht, warum Sie diese Möglichkeit gewählt haben. Meinen Sie etwa, dass eine typische Frau sich so verhält?«
»Sind Sie enttäuscht, weil ich kein Junkie bin und nicht ausgebeutet werde?
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