Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
füllte zwei Gläser mit Whisky.
»Erinnerst du dich daran, als wir uns wegen des letzten |333| Wortes, das Maria Lövgren in ihrem Leben von sich gegeben hat, Sorgen gemacht haben?« fragte Rydberg. »Weil wir gezwungen sein würden, nach Ausländern zu suchen? Als dann Erik Magnusson auf der Bildfläche auftauchte, war er der ersehnteste Mörder, den man sich nur denken konnte. Aber er war es nicht. Nun haben wir doch ein paar Ausländer geschnappt. Und ein armer Somalier starb völlig unnötig.«
»Du hast es die ganze Zeit über gewußt«, meinte Kurt Wallander. »War es nicht so? Daß du die ganze Zeit sicher warst, daß es sich um Ausländer handelte?«
»Ich habe es natürlich nicht hundertprozentig gewußt«, antwortete Rydberg ausweichend. »Aber ich habe daran geglaubt.«
Langsam sprachen sie die Ermittlung noch einmal durch, als ob sie bereits eine ferne Erinnerung wäre.
»Wir haben viele Fehler gemacht«, sagte Kurt Wallander nachdenklich. »Ich habe viele Fehler gemacht.«
»Du bist ein guter Polizist«, erwiderte Rydberg mit Nachdruck. »Ich habe es dir vielleicht nie gesagt. Aber ich halte dich für einen verdammt guten Polizisten.«
»Ich habe zu viele Fehler gemacht«, meinte Kurt Wallander.
»Du warst der Antrieb«, sagte Rydberg. »Du hast nicht aufgegeben. Du wolltest diejenigen haben, die die Morde von Lenarp begangen hatten. Das ist das Wichtigste.«
Die Unterhaltung versiegte langsam.
Ich sitze mit einem sterbenden Mann zusammen, dachte Kurt Wallander düster. Ich habe wohl immer noch nicht begriffen, daß Rydberg tatsächlich sterben wird.
Er erinnerte sich daran, daß er als Jugendlicher einmal mit einem Messer niedergestochen worden war.
Ihm fiel auch wieder ein, daß er vor einem knappen halben Jahr betrunken Auto gefahren war. Eigentlich hätte er jetzt ein abgesetzter Polizeibeamter sein müssen.
Warum erzähle ich Rydberg die Geschichte nicht? dachte er. Warum halte ich den Mund? Oder weiß er es schon?
|334| Seine Beschwörungsformel fuhr ihm durch den Kopf.
Leben hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit.
»Wie geht es dir?« fragte er vorsichtig.
»Im Moment habe ich keine Schmerzen«, antwortete er. »Aber morgen werden sie kommen. Oder übermorgen.«
Es war fast zwei Uhr nachts, als Kurt Wallander Rydberg verließ, der darauf bestand, auf seinem Balkon sitzen zu bleiben.
Kurt Wallander ließ den Wagen stehen und ging zu Fuß nach Hause.
Der Mond war hinter den Wolken verschwunden.
In seinem Kopf hörte er die Stimme der Callas.
In seiner Wohnung lag er noch eine Weile mit offenen Augen da, bevor er einschlief.
Wieder dachte er an die besinnungslose Gewalt. An die neue Zeit, die vielleicht eine andere Art Polizisten erforderte.
Wir leben in der Zeit der Schlingen, dachte er. Die Angst in der Welt wird größer werden.
Danach zwang er sich, diese Gedanken zu verdrängen, und begann, nach der farbigen Frau in seinen Träumen zu suchen.
Die Ermittlung war abgeschlossen.
Nun konnte er sich endlich ausruhen.
Informationen zum Buch
Ein altes Ehepaar wird auf seinem Bauernhof brutal ermordet. Die letzten Worte der sterbenden Frau waren »Ausländer, Ausländer!«. Kommissar Kurt Wallander weiß, daß diese Information unter gar keinen Umständen an die Presse gelangen darf. Denn das Klima im Lande hat sich gewandelt, und die Möglichkeit, daß Ausländer an der Tat beteiligt waren, genügt vielleicht, um eine Welle ausländerfeindlicher Gewalt auszulösen. Doch plötzlich gehen die Ermittlungen in eine ganz andere Richtung: Der Ermordete hat offenbar ein Doppelleben geführt…
Wallanders zweiter Fall
Informationen zum Autor
Henning Mankell
, geboren 1948 in Härjedalen, ist einer der angesehensten und meistgelesenen schwedischen Schriftsteller. Er lebt als Theaterregisseur und Autor abwechselnd in Schweden und in Maputo/Mosambik. Mit Kurt Wallander schuf er einen der weltweit beliebtesten Kommissare. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv .
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