Wallander 02 - Hunde von Riga
hängen?«
»Nicht direkt. Ich komme in zehn Minuten.«
Er ging in sein Büro und rief das Krankenhaus an. Zu seinem eigenen Erstaunen erreichte er Mörth sofort.
»Etwas Neues?« fragte er.
»Ich bin gerade dabei, den Bericht zu schreiben«, antwortete Mörth. »Kannst du dich nicht noch ein paar Stunden gedulden?«
»Ich muß Björk informieren. Kannst du mir nicht wenigstens sagen, wie lange sie schon tot waren?«
»Nein. Wir müssen auf das Ergebnis der Laboruntersuchungen warten: Mageninhalt und Abbau des Zellgewebes. Ich kann so nur schätzen.«
»Dann tu das.«
»Ich halte nicht viel vom Schätzen, wie du weißt. Was hast du schon davon?«
»Du hast Erfahrung. Du verstehst etwas von deiner Arbeit. Die Laborresultate werden deine Vermutungen sicher bestätigen, sie zumindest nicht widerlegen. Ich will nur, daß du mir deine Vermutung ins Ohr flüsterst. Ich werde es auch nicht weitererzählen.« Mörth dachte nach, und Wallander wartete.
»Eine Woche«, sagte Mörth. »Mindestens eine Woche. Aber das gibst du an niemanden weiter.«
|33| »Ich habe es schon wieder vergessen. Und du bist dir immer noch sicher, daß es sich um Ausländer handelt, Russen oder zumindest Osteuropäer?«
»Ja.«
»Hast du etwas entdeckt, was dich überrascht hat?«
»Ich verstehe eigentlich nichts von Munition. Aber solche Kugeln habe ich noch nie gesehen.«
»Sonst noch etwas?«
»Ja. Einer der Männer hat eine Tätowierung auf dem Oberarm. Es ist so eine Art Krummsäbel. Ein türkischer Säbel oder wie das auch immer heißt.«
»Was für ein Ding?«
»Eine Art Schwert. Man kann nicht verlangen, daß ein Pathologe Spezialist für antike Waffen ist.«
»Steht da auch was?«
»Wie meinst du das?
»Tätowierungen bestehen in aller Regel auch aus Text. Einem Frauennamen oder einem Ort.«
»Da steht nichts.«
»Noch etwas?«
»Im Moment nicht.«
»Dann erst mal vielen Dank.«
»Keine Ursache.«
Wallander legte den Hörer auf, holte Kaffee und ging zu Björk.
Die Türen zu Martinssons und Svedbergs Büros standen offen. Keiner der beiden war da. Er setzte sich und trank Kaffee, während Björk ein Telefongespräch beendete. Zerstreut hörte er Björk zu, der immer wütender zu werden schien. Aber als Björk schließlich mit aller Kraft den Hörer auf die Gabel knallte, zuckte er dann doch zusammen.
»Das ist doch wohl das Allerletzte«, sagte Björk. »Wofür arbeiten wir überhaupt noch?«
»Das ist eine gute Frage«, entgegnete Wallander. »Aber ich weiß trotzdem nicht, was du meinst.«
|34| Björk zitterte vor Wut. Wallander konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so außer sich gesehen zu haben.
»Was ist denn los?« fragte er.
Björk sah ihn an.
»Ich weiß gar nicht, ob ich darüber sprechen kann«, sagte er. »Aber ich muß wohl. Einer der Mörder von Lenarp, der Typ, den wir Lucia genannt haben, bekam vor einigen Tagen Hafturlaub und kehrte natürlich nicht zurück. Vermutlich hat er das Land schon verlassen. Den werden wir nie wieder schnappen.«
Wallander traute seinen Ohren nicht.
»Hafturlaub? Aber er hat doch nicht einmal ein Jahr gesessen? Wegen eines der schlimmsten Gewaltverbrechen, das wir in diesem Land je erlebt haben? Wie, zum Henker, konnte er Hafturlaub bekommen?«
»Zur Beerdigung seiner Mutter.«
Wallander konnte es nicht fassen.
»Aber seine Mutter ist doch schon seit zehn Jahren tot, oder nicht? Daran kann ich mich noch aus dem Bericht erinnern, den uns die tschechische Polizei geschickt hat.«
»Eine Frau, die sich als seine Schwester ausgegeben hat, ist im Gefängnis von Hall aufgetaucht. Sie hat sich dafür eingesetzt, daß er Hafturlaub bekommt, damit er an der Beerdigung teilnehmen kann. Niemand scheint das kontrolliert zu haben. Sie hatte eine Karte, auf der stand, daß die Beisetzung in der Kirche von Ängelholm stattfinden würde. Die war natürlich gefälscht. Es scheint in diesem Land immer noch Menschen zu geben, die naiv genug sind zu glauben, daß man Einladungen zu Beerdigungen nicht fälscht. Er bekommt also Hafturlaub unter Bewachung. Das war vorgestern. Aber es gab natürlich keine Beerdigung, weder eine tote Mutter noch eine Schwester. Sie überwältigen also die Wache, fesseln sie und werfen sie in ein Waldgebiet irgendwo außerhalb von Jönköping. Dann sind sie sogar noch so dreist, mit dem Auto der Strafvollzugsbehörde über Limhamn zum Flughafen Kastrup zu fahren. Dort steht es nun, und die beiden sind verschwunden.«
|35| »Das ist doch nicht
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