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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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auf feindlichem Gebiet befand, einer Hundemeute ausgeliefert, die von jemandem befehligt wurde, der nicht zögern würde, auch ihn in einen Kadaver zu verwandeln, in ein eisbedecktes Hafenbecken zu kippen oder in einem abgelegenen Waldgebiet zu verscharren. Sein Heimweh war primitiv, doch es war nicht zu leugnen. Die Ursache für sein Herumirren in der lettischen Nacht, das angetriebene Boot mit den zwei Toten, schien unendlich weit weg und verschwommen zu sein, so als existierte sie nicht.
    Weil er keine andere Möglichkeit mehr sah, kehrte er durch die dunklen und leeren Straßen zu dem Hotel zurück, in dem er schon einmal eine Nacht verbracht hatte. Aber die Eingangstür war verschlossen, und als er die Nachtklingel betätigte, |321| ging in den oberen Stockwerken kein Licht an. Der Schmerz in seiner Hand benebelte ihn mehr und mehr, und er fürchtete, sein Urteilsvermögen könnte ihn völlig verlassen, wenn er sich nicht bald aufwärmen konnte. Er ging weiter zum nächsten Hotel, aber seine Versuche, durch Betätigen der Nachtklingel auf sich aufmerksam zu machen, blieben fruchtlos. Beim dritten Hotel endlich, noch heruntergekommener und abstoßender als die beiden anderen, war die Eingangstür nicht verschlossen, und er trat an eine Rezeption, hinter der schlafend ein Mann saß, den Kopf auf den Tisch gelegt und eine halbleere, umgestürzte Flasche Weinbrand zu seinen Füßen. Wallander rüttelte ihn wach, wedelte mit dem Paß, den er von Preuss bekommen hatte, und bekam tatsächlich einen Zimmerschlüssel in die Hand gedrückt. Er zeigte auf die Weinbrandflasche, legte einen schwedischen Hunderter auf die Theke und nahm die Flasche mit.
    Das Zimmer war klein und roch streng nach muffigen Möbeln und verrauchten Tapeten. Er ließ sich auf die Bettkante sinken, nahm ein paar große Schlucke aus der Flasche und fühlte, wie die Wärme langsam in seinen Körper zurückkehrte. Dann zog er sich die Jacke aus, füllte das Waschbecken mit kaltem Wasser und tauchte die geschwollene Hand hinein. Langsam begann der Schmerz abzuklingen, und er sah ein, daß es das beste sein würde, die Nacht über an dem Waschbecken sitzenzubleiben. Hin und wieder nahm er einen Schluck aus der Flasche und fragte sich voller Sorge, was Baiba zugestoßen sein konnte.
    Er holte die blaue Mappe heraus, die er unter seinem Hemd trug, und öffnete sie mit seiner freien Hand. Sie enthielt etwa fünfzig maschinengeschriebene Seiten, außerdem einige undeutliche Kopien, aber nicht die erhofften Fotos. Das Testament des Majors war auf lettisch geschrieben, und Wallander verstand kein Wort. Er entdeckte, daß von Seite neun an die Namen Murniers und Putnis in schöner Regelmäßigkeit auftauchten. Manchmal wurden beide in ein und demselben Satz |322| genannt, manchmal standen sie allein. Er konnte nicht ausmachen, was dies zu bedeuten hatte, ob beide Obersten beschuldigt wurden, oder ob sich der anklagende Finger des Majors nur gegen einen von ihnen erhoben hatte. Er gab den Versuch auf, die Seiten zu entziffern, legte den Ordner auf den Boden, füllte das Waschbecken mit frischem Wasser und lehnte sich mit dem Kopf gegen den Tisch. Es war vier Uhr, und er dämmerte langsam ein. Als er mit einem Ruck wieder erwachte, hatte er gerade mal zehn Minuten geschlafen. Seine Hand tat wieder weh, das kalte Wasser verschaffte ihm keine Linderung mehr. Er leerte die Flasche Weinbrand bis auf den letzten Tropfen, wickelte die Hand in ein nasses Handtuch und legte sich aufs Bett.
    Wallander hatte keine Ahnung, was er tun sollte, falls Baiba nicht im Kaufhaus auftauchen würde.
    Ein Gefühl begann in ihm zu wachsen, das Gefühl, besiegt worden zu sein.
    Bis zum Morgengrauen blieb er schlaflos liegen.
    Das Wetter war wieder umgeschlagen.

|323| 18
    Beim Aufwachen ahnte er instinktiv die Gefahr. Es war kurz vor sieben. Er lag ganz still und horchte in den dunklen Raum hinein. Doch die Gefahr lauerte nicht vor der Tür oder im Zimmer. Ein Warnsignal tief in seinem Innern sagte ihm, daß er noch nicht unter jedem Stein nachgesehen hatte, was sich darunter verbarg.
    Die Schmerzen in seiner Hand hatten nachgelassen. Er versuchte vorsichtig, die Finger zu bewegen, ohne die Hand ansehen zu können. Sofort wurden die Schmerzen wieder stärker. Ohne Behandlung würde er es nicht mehr lange aushalten.
    Wallander war sehr müde. Als er vor ein paar Stunden eingenickt war, hatte er sich für besiegt gehalten. Die Macht der Obersten war einfach zu groß, seine Möglichkeiten

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