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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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angrenzenden Flur, und als sie verklungen waren, lief er schnell weiter, erreichte die Tür zum Archiv und öffnete sie mit zwei der drei Schlüssel, die Mikelis ihm gegeben hatte.
    Wallander wußte, wo sich die Lichtschalter befinden mußten. In der Dunkelheit tastete er mit den Fingern die Wand entlang, bis er sie gefunden hatte. Mikelis hatte gesagt, daß die Tür völlig dicht schloß. Sie ließ keinen Lichtschimmer durchsickern, von dem die Wache alarmiert werden konnte.
    Wallander hatte das Gefühl, sich in einem riesigen, unterirdischen Hangar zu befinden. Er hätte nie gedacht, daß das Archiv so groß war. Einen Moment stand er ratlos vor den unzähligen Reihen aus Aktenschränken und Regalen mit dicht an dicht stehenden Ordnern. Der Raum des Bösen, dachte er. Was dachte der Major, als er hier eintrat und die Bombe deponierte, in der Hoffnung, daß sie eines Tages hochgehen würde?
    Er sah auf die Uhr und ärgerte sich darüber, daß er kostbare Zeit mit solchen Überlegungen verschwendet hatte. Gleichzeitig spürte er, daß er bald seinen Darm entleeren mußte. Irgendwo in diesem Archiv muß es auch eine Toilette geben, dachte er fieberhaft. Die Frage ist nur, ob ich die Zeit habe, sie zu suchen.
    Er begann in die Richtung zu gehen, die Mikelis ihm angegeben hatte. Er hatte Wallander gewarnt, daß man sich schnell in diesem Gewirr aus Regalen und Registraturräumen, die alle gleich aussahen, verirren konnte. Er fluchte, weil ein großer Teil seiner Aufmerksamkeit seinem rumorenden Bauch gewidmet war, und er dachte ungern daran, was geschehen könnte, wenn er nicht bald die Möglichkeit bekam, eine Toilette aufzusuchen.
    Plötzlich blieb er stehen und sah sich um. Er hatte einen falschen Weg eingeschlagen. Aber war er zu weit gegangen oder hatte er an der falschen Stelle die Richtung gewechselt? Er ging wieder zurück. Plötzlich wußte er überhaupt nicht mehr, |315| wo er war, und wurde von Panik ergriffen. Er sah auf seiner Uhr, daß er noch zweiundvierzig Minuten hatte. Aber er hätte die richtige Abteilung im Archiv jetzt eigentlich schon gefunden haben müssen. Er fluchte vor sich hin. Hatte Mikelis sich geirrt? Warum fand er den Weg nicht? Er mußte noch einmal ganz von vorne anfangen und lief deshalb zwischen den Regalen zum Ausgangspunkt zurück. In der Eile trat er aus Versehen gegen einen Papierkorb aus Blech, der mit einem ohrenbetäubenden Knall gegen einen Aktenschrank stieß. Die Wache, dachte er. Das muß einfach durch die Tür gedrungen sein. Regungslos stand er da und lauschte, aber kein Schlüssel rasselte im Schloß. Gleichzeitig merkte er, daß er nicht länger einhalten konnte. Er zog die Hose herunter, hockte sich über den Papierkorb und entleerte seinen Darm. Mit einem Gefühl wütenden Ekels griff er nach einem Ordner, der auf einem Regal neben ihm stand, riß ein paar Blätter heraus, die wahrscheinlich zum Protokoll eines Verhörs gehörten, und wischte sich ab. Dann begann er noch einmal von vorn und war sich darüber im klaren, daß er jetzt den richtigen Raum finden mußte, wenn nicht alles zu spät sein sollte. Innerlich beschwor er Rydberg, seine Schritte zu lenken, zählte die abzweigenden Räume und Regalsektionen und war sich schließlich sicher, an der richtigen Stelle angelangt zu sein. Aber das Ganze hatte viel zu lange gedauert. Er hatte jetzt nur noch knappe dreißig Minuten, um das Testament zu finden, und er bezweifelte, daß die Zeit reichen würde. Er begann mit der Suche. Mikelis war nicht dazu gekommen, ihm im Detail zu erklären, wie das Archiv aufgebaut war. Wallander war also gezwungen, sich allein zurechtzufinden. Ihm wurde sofort klar, daß das Archiv nicht alphabetisch geordnet war. Es gab einzelne Abteilungen und Unterabteilungen, die vielleicht noch weiter gegliedert waren. Hier stehen die Abtrünnigen, dachte er. Hier stehen alle, die überwacht und terrorisiert worden sind, alle, die denunziert worden sind oder auf die man aufmerksam wurde als denkbare Kandidaten für den Posten eines anerkannten |316| Staatsfeindes. Und es sind so viele, daß ich Baibas Akte niemals finden werde.
    Er versuchte, in das Nervensystem des Archivs einzudringen, die Stelle logisch einzukreisen, an der sich das Testament wie ein untergeschobener Schwarzer Peter befinden mußte. Aber die Zeit verrann, ohne daß er der Lösung näherkam. Fieberhaft fing er immer wieder aufs neue an, zog Akten heraus, die ihm in einer abweichenden Farbe entgegenleuchteten, und ermahnte sich

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