Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Wallander.
Martinsson nickte und fuhr fort. »Das ist auch schon alles, was wir haben. Mit anderen Worten: sehr, sehr wenig. Kein Motiv, keine Mordwaffe, keinen Zeugen.«
Wallander überlegte, ob er bereits jetzt von Sten Torstenssons |40| Besuch in Skagen berichten sollte. Allzuoft hatte er den unverzeihlichen Fehler begangen, seinen Kollegen gegenüber Informationen zurückzuhalten. Natürlich hatte er jedesmal einen Grund für sein Schweigen gehabt, er wußte aber auch, daß die Erklärungen fast immer äußerst dürftig gewesen waren.
Ich mache etwas falsch, dachte er. Ich beginne mein zweites Leben als Polizist damit, alles umzuwerfen, was ich bisher an Erfahrungen gesammelt habe.
Und doch hatte er die Empfindung, in diesem Fall das Richtige zu tun.
Er behandelte sein Gefühl mit Respekt. Es konnte sein zuverlässigster Berater, aber auch sein schlimmster Feind sein.
Er wußte, daß er diesmal recht hatte.
Etwas von dem, was Martinsson gesagt hatte, war in ihm hängengeblieben. Oder vielleicht etwas, was er nicht gesagt hatte.
Seine Gedanken wurden unterbrochen, weil Björk mit den Fingern nervös auf die Tischkante trommelte. Damit drückte der Polizeichef für gewöhnlich aus, daß er irritiert oder ungeduldig war.
»Ich habe Gebäck bestellt«, bemerkte er. »Aber da können wir natürlich lange warten. Ich schlage vor, daß wir hier abbrechen und daß ihr Kurt mit den Einzelheiten des Falles vertraut macht. Wir sehen uns am Nachmittag wieder. Vielleicht kann ich euch dann zu einem Stück Kuchen einladen.«
Als Björk den Raum verlassen hatte, rückten sie näher zusammen. Wallander spürte, daß er etwas sagen mußte. Er hatte kein Recht, so ohne Erklärung in die Gemeinschaft zurückzukehren und so zu tun, als wäre nichts gewesen.
»Ich muß versuchen, von vorn anzufangen«, sagte er. »Es ist eine quälende Zeit gewesen. Ich habe lange überlegt, ob ich den Dienst wiederaufnehmen sollte. Man trägt schwer daran, wenn man einen Menschen getötet hat, auch wenn es in Notwehr geschah. Aber ich werde versuchen, meinen Job zu machen, so gut ich kann.«
Alle schwiegen betroffen.
|41| »Glaub nicht, daß wir nicht verstehen«, sagte Martinsson schließlich. »Auch wenn man als Polizist gezwungen ist, sich an alles zu gewöhnen, so als würden die Widerwärtigkeiten kein Ende nehmen, trifft es einen doch hart, wenn es jemanden erwischt, der einem nahesteht. Kann sein, daß du dich freust, wenn wir dir sagen, daß wir dich genauso vermißt haben wie vor einigen Jahren Rydberg.«
Der im Frühjahr 1991 verstorbene alte Kriminalkommissar Rydberg war wie ein Schutzheiliger für sie. Durch seine fundierten polizeilichen Kenntnisse und seine offene, kameradschaftliche Art war er stets Mittelpunkt in der laufenden kriminalistischen Arbeit gewesen.
Wallander verstand, was Martinsson meinte.
Er war Rydberg als einziger so nahegekommen, daß er als persönlicher Freund gelten konnte. Hinter Rydbergs mürrischem Äußeren hatte er einen Menschen kennengelernt, der über ein Wissen verfügte, das weit über ihr gemeinsames Arbeitsgebiet hinausreichte.
Ich habe ein Erbe angetreten, dachte Wallander.
Eigentlich will Martinsson sagen, daß ich in Rydbergs Fußstapfen treten soll.
Svedberg stand auf: »Wenn niemand etwas dagegen hat, fahre ich hinunter zu Torstenssons Kanzlei. Es sind ein paar Herren von der Anwaltskammer da, die alle Papiere durchsehen. Sie wollen, daß die Polizei dabei ist.«
Martinsson schob einen Stapel Ermittlungsakten zu Wallander hinüber. »Das ist alles, was wir bisher haben. Ich nehme an, du willst das Material in Ruhe durcharbeiten.«
Wallander nickte. »Was ist mit dem Autounfall?« fragte er. »Gustaf Torstensson.«
Martinsson sah ihn verwundert an. »Der Fall ist abgeschlossen. Der Alte hat die Gewalt über das Fahrzeug verloren und ist von der Straße abgekommen.«
»Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich den Bericht trotzdem sehen«, sagte Wallander vorsichtig.
Martinsson zuckte die Schultern. »Ich schicke ihn dir in Hanssons Zimmer«, versprach er.
|42| »Jetzt nicht mehr Hanssons«, sagte Wallander. »Ich habe mein altes Büro zurückbekommen.«
Martinsson erhob sich. »Du warst schnell verschwunden, und nun bist du ebenso schnell wieder aufgetaucht. Da irrt man sich leicht.«
Er verließ den Besprechungsraum. Jetzt war Wallander mit Ann-Britt Höglund allein.
»Ich habe viel über dich gehört«, sagte sie.
»Was du gehört hast, ist bestimmt die reine Wahrheit.
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