Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Sohn ermordet. Aber obwohl sie unter Schock steht, kann man sich erstaunlich gut mit ihr unterhalten. Ihre Adresse steht im Gesprächsprotokoll von Svedberg.«
»Stickgatan 26«, sagte Wallander. »Hinter dem Hotel Continental. Ich parke dort manchmal.«
»Ich dachte, da wäre Parkverbot«, sagte Martinsson.
Wallander holte seine Jacke und verließ das Gebäude. Das Mädchen an der Anmeldung hatte er noch nicht gesehen. Er überlegte, ob er sich vorstellen sollte. Ob die gute alte Ebba aufgehört hatte oder nur zum Spätdienst eingeteilt war? Aber er ließ es. Die Stunden, die er an diesem Tag im Polizeigebäude verbracht hatte, mochten in den Augen Außenstehender undramatisch verlaufen sein, aber in ihm herrschte Hochspannung. Er mußte jetzt allein sein. Lange Zeit war er im großen und ganzen ohne menschliche Gesellschaft ausgekommen. Er |45| würde sich wieder an den Betrieb gewöhnen. Als er zum Krankenhaus hinunterfuhr, sehnte er sich für einen kurzen Augenblick nach der Einsamkeit Skagens, nach seinem abgelegenen Revier und den Patrouillengängen, auf denen nichts passierte.
Aber das war vorbei. Er war wieder im Dienst.
Die Anwaltskanzlei befand sich in einem gelb verputzten Steinhaus in der Sjömansgata, unweit des alten Theaters, das renoviert wurde. Ein Polizeiauto parkte davor. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen einige Gaffer und kommentierten das Geschehen. Vom Meer her blies ein stürmischer Wind. Wallander fröstelte, als er aus dem Wagen stieg. Er öffnete die schwere Haustür und wäre beinahe mit Svedberg zusammengestoßen, der auf dem Weg nach draußen war.
»Ich wollte gerade losfahren und etwas zu essen besorgen«, sagte er.
»Mach das«, sagte Wallander. »Ich werde bestimmt eine Weile hierbleiben.«
Im Vorzimmer saß eine junge Bürokraft vor einem leeren Schreibtisch. Sie sah ängstlich aus. Wallander erinnerte sich, daß sie laut Ermittlungsbericht Sonja Lundin hieß und erst ein paar Monate in der Kanzlei arbeitete. Sie hatte keinerlei sachdienliche Hinweise machen können.
Wallander gab ihr die Hand und stellte sich vor. »Ich werde mich nur ein wenig umschauen. Frau Dunér ist wohl nicht hier?«
»Sie ist zu Hause und weint«, antwortete das Mädchen lakonisch.
Wallander wußte nicht, was er sagen sollte.
»Sie wird das hier nicht überleben«, fuhr Sonja Lundin fort. »Sie wird auch sterben.«
»Das wollen wir nicht hoffen«, sagte Wallander und merkte, wie hohl seine Worte klangen.
Torstenssons Kanzlei war ein Arbeitsplatz für einsame Menschen, dachte er. Gustaf Torstensson hat über fünfzehn Jahre als Witwer gelebt; der Sohn Sten Torstensson war so lange Zeit mutterlos und dazu noch Junggeselle gewesen. Frau Dunér ist seit Anfang der 70er Jahre geschieden. Drei einsame |46| Menschen, die sich Tag für Tag trafen. Nun sind zwei davon tot, und der dritte ist völlig vereinsamt.
Wallander konnte gut verstehen, daß Frau Dunér zu Hause saß und weinte.
Die Tür zum Sitzungszimmer war geschlossen. Gemurmel drang heraus. Die beiden Türen rechts und links trugen blitzblanke Messingschilder mit den eingravierten Namen der beiden Anwälte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, betrat Wallander zuerst Gustaf Torstenssons Büro. Die Gardinen waren vorgezogen, der Raum lag im Halbdunkeln. Er schloß die Tür hinter sich und machte Licht. Ein schwacher Zigarrenduft schwebte in der Luft, Wallander ließ den Blick wandern und fühlte sich wie in einer anderen Zeit. Schwere Ledersofas, Marmortisch, Bilder an den Wänden. Konnte es sein, daß es die Mörder Sten Torstenssons auf Kunstgegenstände abgesehen hatten? Er trat an ein Gemälde heran und versuchte, die Signatur zu deuten und zu erkennen, ob es sich um ein Original handelte. Es gelang ihm nicht. Ein großer Globus stand neben dem imposanten Schreibtisch, der bis auf ein paar Stifte, ein Telefon und ein Diktiergerät völlig leer war. Er setzte sich in den bequemen Drehsessel und schaute sich weiter um, während er sich noch einmal ins Gedächtnis rief, was Sten Torstensson beim Kaffeetrinken im Kunstmuseum von Skagen gesagt hatte.
Ein Autounfall, der keiner war. Ein Mann, der in den letzten Monaten seines Lebens versucht hatte zu verbergen, daß ihn etwas stark beschäftigte.
Wallander überlegte, worin das Dasein eines Anwalts eigentlich bestand. Ein Anwalt verteidigte einen Menschen gegen die Anklage oder stand ihm mit juristischem Rat zur Seite. Ein Anwalt wurde ständig von Klienten ins Vertrauen
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