Wallander 07 - Mittsommermord
nach Kåseberga. Bald würde er da sein. Er dachte an das, was ihn erwartete. Eines Abends im Mai, bei einem seiner Besuche bei Gertrud, waren sie |22| auf den Feldwegen, die sich durch die Rapsfelder schlängelten, lange spazierengegangen. Sie hatte ihm bei dieser Gelegenheit eröffnet, daß sie wegziehen wolle. Es werde ihr zu einsam.
»Ich will nicht so lange hierbleiben, bis er mir als Geist erscheint«, hatte sie gesagt.
Irgendwie verstand er, was sie meinte. Wahrscheinlich hätte er ähnlich reagiert.
Sie waren durch die Felder gewandert, und sie hatte ihn gebeten, ihr beim Verkauf des Hauses behilflich zu sein. Es eilte nicht, es hatte Zeit, bis der Sommer vorüber war. Aber vor dem Herbst wollte sie ausziehen. Ihre Schwester war vor kurzem Witwe geworden, sie wohnte in der Nähe von Rynge. Gertrud wollte mit ihr zusammenziehen.
Jetzt war es soweit. Wallander hatte sich diesen Mittwoch frei genommen. Um neun Uhr sollte ein Makler aus Ystad kommen, und sie würden gemeinsam besprechen, welchen Preis man vernünftigerweise verlangen konnte. Vorher wollten er und Gertrud die letzten Kartons mit den Sachen des Vaters durchgehen. Die Woche davor hatten sie gepackt. Sein Kollege Martinsson war mit einem Anhänger gekommen, und sie hatten mehrere Fuhren zur Müllkippe außerhalb von Hedeskoga gebracht. Mit wachsendem Unbehagen hatte Wallander darüber nachgedacht, daß das, was vom Leben eines Menschen am Ende übrigblieb, auf der nächsten Müllkippe landete.
Von seinem Vater gab es jetzt, außer den Erinnerungen, eine Handvoll Fotografien. Außerdem fünf Bilder und zwei Kartons mit Briefen und Dokumenten. Mehr nicht. Das Leben war verbucht und abgeschlossen.
Wallander bog zum Haus seines Vaters ein. Gertrud war draußen auf dem Hof. Sie stand immer früh auf.
Sie tranken Kaffee in der Küche, wo die Schranktüren offenstanden, die Fächer leer geräumt waren. Schon an diesem Nachmittag wollte Gertruds Schwester kommen und sie abholen. Wallander würde einen Schlüssel behalten und den anderen dem Makler übergeben.
Als Gertrud ihm über den Hof entgegenkam, bemerkte er mit Verwunderung, daß sie dasselbe Kleid trug wie am Tag ihrer |23| Hochzeit. Er spürte sofort einen Kloß im Hals. Für Gertrud war dies ein ernster und feierlicher Augenblick. Sie würde ihr Zuhause verlassen.
Sie sahen den Inhalt der beiden Kartons durch. Zwischen den alten Briefen entdeckte Wallander zu seinem Erstaunen ein Paar Kinderschuhe, an die er sich aus seiner Kindheit zu erinnern glaubte. Hatte sein Vater sie all die Jahre hindurch aufgehoben?
Er trug die Kartons hinaus zum Wagen. Als er die Wagentür zuschlug, stand Gertrud lächelnd auf der Haustreppe. »Es sind noch fünf Bilder da. Hast du die vergessen?«
Wallander schüttelte den Kopf. Er ging zum Seitentrakt, in dem das Atelier seines Vaters gewesen war. Die Tür stand offen. Obwohl sie saubergemacht hatten, hing noch der Geruch von Terpentin im Raum. Auf der alten Kochplatte stand der Topf, in dem sein Vater unzählige Tassen Kaffee gekocht hatte.
Vielleicht bin ich zum letzten Mal hier, dachte er. Aber im Unterschied zu Gertrud habe ich mich nicht feingemacht. Ich komme in meinen ausgebeulten Alltagssachen. Und wenn ich nicht Glück gehabt hätte, wäre ich jetzt sowieso tot. Und Linda müßte mit dem, was ich hinterlasse, zur Müllkippe fahren. Und da wären auch zwei Bilder, eins mit einem Auerhahn im Vordergrund, eins ohne.
Wallander war beklommen zumute. Sein Vater war noch immer anwesend in dem leeren Atelier.
Die Bilder lehnten an der Wand. Er trug sie zum Wagen, legte sie in den Kofferraum und deckte sie mit einer Wolldecke ab. Gertrud stand auf der Treppe.
»Sonst war nichts mehr?«
Wallander schüttelte den Kopf. »Nein. Nichts«, antwortete er. »Nichts.«
Um neun Uhr bog der Wagen des Grundstücksmaklers auf den Hof ein. Als der Mann ausstieg, sah Wallander zu seiner Verblüffung, daß er ihn kannte. Der Mann hieß Robert Åkerblom. Vor ein paar Jahren war seine Frau brutal ermordet und in einen alten Brunnen geworfen worden. Es war eine der schwierigsten und quälendsten Mordermittlungen, mit denen Wallander je befaßt |24| gewesen war. Fragend runzelte er die Stirn. Er hatte eines der großen Maklerbüros beauftragt, deren Filialen über ganz Schweden verteilt waren. Das von Åkerblom gehörte nicht dazu. Falls es seine Firma überhaupt noch gab. Wallander meinte gehört zu haben, Åkerblom habe sie kurz nach dem Mord an seiner Frau
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