Wallander 07 - Mittsommermord
Dezember 1994 war sie nach Ystad gekommen. Kurz nachdem sein Vater gestorben war. Und er hatte eine der anstrengendsten Ermittlungen hinter sich, die er in seinen Jahren als Polizeibeamter erlebt hatte. Aber in jenem Herbst hatte er auch, vielleicht zum erstenmal seit vielen Jahren, Zukunftspläne geschmiedet. Er wollte die Wohnung in der Mariagata verlassen und aufs Land ziehen. Sich einen Hund anschaffen. Er hatte sogar einen Züchter besucht und sich Labradorwelpen angesehen. Er wollte ein neues Leben beginnen. Und das Wichtigste von allem – er wünschte, daß Baiba bei ihm bliebe. Sie hatte Weihnachten in Ystad verbracht. Es freute Wallander, zu sehen, wie gut sie und Linda sich verstanden. Damals, um Neujahr 1995, in den letzten Tagen vor ihrer Rückkehr nach Riga, hatten sie ernsthaft über die Zukunft gesprochen. Vielleicht wollte sie schon im Sommer für immer nach Schweden |29| kommen. Sie hatten sich auch zusammen Häuser angesehen. Einen kleinen abgeteilten Hof außerhalb von Svenstorp hatten sie mehrmals besucht. Doch dann, eines Tages im März, richtiger gesagt, eines Abends, als Wallander schon geschlafen hatte, rief sie aus Riga an und erklärte ihm, ihr seien Zweifel gekommen. Sie wollte nicht heiraten, wollte nicht nach Schweden ziehen. Jedenfalls noch nicht. Voller Sorge war Wallander einige Tage später nach Riga geflogen. Er hatte geglaubt, sie überreden zu können. Doch es endete damit, daß sie sich stritten, erstmals, lange und heftig.
Dann hatten sie über einen Monat lang nicht miteinander gesprochen. Schließlich rief Wallander wieder an, und sie verabredeten, daß er im Sommer nach Lettland kommen würde. Sie verbrachten zwei Sommerwochen in einem verfallenen Haus an der Bucht von Riga, das sie von einem ihrer Kollegen an der Universität geliehen hatte. Sie machten lange Strandwanderungen, und Wallander, durch Schaden klug geworden, wartete darauf, daß sie von sich aus auf die Zukunft zu sprechen käme. Aber als sie es schließlich tat, war sie vage und ausweichend. Nicht jetzt, noch nicht. Warum konnten sie es nicht so lassen, wie es war? Als Wallander nach Hause flog, war er niedergeschlagen und wußte immer noch nicht, wie es weitergehen sollte. Der Herbst verging, ohne daß sie sich trafen. Sie hatten Pläne gemacht, verschiedene Alternativen erwogen. Aber alles hatte sich zerschlagen. In dieser Zeit war Wallander auch mißtrauisch geworden. Gab es vielleicht einen anderen Mann in Riga? Von dem er nichts wußte? Mehrmals rief er sie mitten in der Nacht an, und mindestens zweimal hatte er das Gefühl, es befinde sich noch jemand in ihrer Wohnung, obwohl sie beteuerte, es sei nicht der Fall.
Auch in dem Jahr kam sie über Weihnachten nach Ystad. Damals war Linda nur Heiligabend bei ihnen. Danach war sie mit Freunden nach Schottland gefahren. Und da, ein paar Tage nach Neujahr, hatte Baiba erklärt, sie könne sich nicht vorstellen, je nach Schweden zu ziehen. Sie habe lange gezweifelt. Aber jetzt wisse sie es. Sie wolle ihre Arbeit an der Universität nicht verlieren. Was würde sie in Schweden tun können? In Ystad? Sie könnte vielleicht Dolmetscherin werden. Aber darüber hinaus? |30| Wallander hatte versucht, sie zu überreden. Aber es gelang ihm nicht, und er gab es bald auf. Ohne daß einer von ihnen es offen aussprach, wußten sie, daß ihre Beziehung zu Ende ging. Nach vier Jahren gab es keine Wege mehr, die in die Zukunft führten. Wallander hatte sie nach Sturup gebracht, sie durch die Paßkontrolle verschwinden sehen und später am Abend in der Winterkälte auf der Bank vor dem Gebäude der Seenotrettung gesessen. Er war niedergeschlagen und hatte sich verlassener denn je gefühlt. Doch zugleich hatte sich auch ein anderes Gefühl in ihm ausgebreitet. Ein Gefühl der Erleichterung. Wenigstens gab es keine Unsicherheit mehr.
Ein Motorboot verließ den Hafen. Wallander stand auf. Er mußte wieder auf die Toilette.
Sie hatten dann und wann noch miteinander telefoniert. Doch auch das hatte aufgehört. Seit dem letzten Mal war jetzt schon ein halbes Jahr vergangen. Als er und Linda während ihres Urlaubs durch Visby schlenderten, hatte sie ihn gefragt, ob es mit Baiba endgültig aus sei.
»Ja«, hatte er geantwortet. »Es ist vorbei.«
Sie hatte auf eine Fortsetzung gewartet.
»Es war wohl notwendig«, hatte er hinzugefügt. »Ich glaube, keiner von uns beiden wollte es wirklich. Vielleicht war es unvermeidlich.«
Er ging ins Restaurant, nickte der Serviererin zu und
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