Wallander 08 - Die Brandmauer
verstreut waren. Das Bild war fort.
Im gleichen Augenblick merkte er, daß noch etwas verschwunden war. Das Logbuch, in dem er am Abend zuvor geblättert hatte.
Er tat einen Schritt zurück und holte tief Luft. Jemand wußte davon, daß ich hier war, dachte er. Jemand hat mich kommen und gehen sehen.
War er aus einer instinktiven Ahnung heraus zweimal ans Fenster getreten und hatte auf die Straße hinuntergespäht? Es war jemand dagewesen, den er nicht entdeckt hatte. Jemand, der sich tief im Schatten versteckt hatte.
Martinsson unterbrach ihn in seinen Gedanken. »Die Nachbarin ist Witwe und heißt Håkansson. Sie hat nichts gehört und nichts gesehen.«
Wallander dachte an die Nacht, die er einmal in betrunkenem Zustand eine Etage tiefer verbracht hatte.
»Sprich mit allen Hausbewohnern. Vielleicht hat jemand etwas beobachtet.«
»Können wir nicht jemand anderen dafür einteilen? Ich habe ziemlich viel zu tun.«
»Es ist wichtig, daß es ordentlich gemacht wird. Hier wohnen ja nicht viele Leute.«
Martinsson verschwand. Wallander wartete.
Nach zwanzig Minuten erschien ein Kriminaltechniker. »Nyberg ist unterwegs«, sagte er. »Er hatte noch etwas Wichtiges draußen an der Transformatorstation zu erledigen.«
|168| Wallander nickte. »Der Anrufbeantworter«, sagte er dann. »Ich will wissen, was darauf ist. Alles.«
Der Polizist nickte.
»Macht eine Videoaufnahme von dem Ganzen«, fuhr Wallander fort. »Ich will diese Wohnung bis ins kleinste Detail dokumentiert haben.«
»Sind die Leute, die hier wohnen, verreist?« fragte der Polizist.
»Hier wohnte der Mann, der vor ein paar Nächten an dem Geldautomaten starb«, antwortete Wallander. »Es ist wichtig, daß ihr hier sehr gründlich arbeitet.«
Er verließ die Wohnung und ging hinunter auf die Straße. Der Himmel war jetzt wolkenlos. Marianne Falk saß in ihrem Wagen und rauchte.
Als sie Wallander erblickte, stieg sie aus. »Was ist passiert?«
»Einbruch.«
»Wie kann man nur so dreist sein und in eine Wohnung einbrechen, deren Mieter gerade gestorben ist.«
»Ich weiß, daß Sie geschieden waren«, sagte Wallander. »Aber kannten Sie seine Wohnung?«
»Wir hatten ein gutes Verhältnis. Ich habe ihn häufig besucht.«
»Ich möchte Sie bitten, später am Tag wieder herzukommen«, sagte Wallander. »Wenn die Techniker fertig sind, können wir gemeinsam durch die Wohnung gehen. Vielleicht fällt Ihnen etwas auf, vielleicht fehlt etwas.«
Ihre Antwort kam sehr entschieden. »Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich war viele Jahre mit ihm verheiratet. In der Zeit kannte ich ihn ziemlich gut. Aber danach nicht mehr.«
»Was war denn vorgefallen?«
»Nichts. Aber er veränderte sich.«
»Auf welche Weise?«
»Ich wußte nicht mehr, was er dachte.«
Wallander betrachtete sie nachdenklich. »Trotzdem sollten sie sehen können, ob etwas in seiner Wohnung fehlt. Sie haben gerade gesagt, Sie hätten ihn häufig besucht.«
»Ein Bild oder eine Lampe, die fehlen, würden mir vielleicht auffallen. Aber sonst nichts. Tynnes hatte viele Geheimnisse.«
|169| »Was meinen Sie damit?«
»Kann man damit mehr meinen als das, was es heißt? Ich wußte weder, was er dachte, noch, was er tat. Ich habe das schon bei unserem Telefongespräch zu erklären versucht.«
Wallander erinnerte sich daran, daß er am Abend zuvor in dem Logbuch gelesen hatte.
»Wissen Sie, ob Ihr Mann Tagebuch führte?«
»Ich bin sicher, daß er das nicht tat.«
»Nie?«
»Nie.«
Soweit stimmt es, dachte Wallander. Sie wußte nicht, was ihr Mann machte. Jedenfalls nicht, daß er Tagebuch führte.
»Hat Ihr früherer Mann sich für den Weltraum interessiert?«
Ihre Verwunderung wirkte ganz und gar echt. »Warum hätte er das sollen?«
»Ich frage nur.«
»Als wir jung waren, haben wir vielleicht dann und wann zum Sternenhimmel aufgeschaut. Aber später nicht mehr.«
Wallander lenkte das Gespräch in eine neue Richtung. »Sie sagten, Ihr früherer Mann habe viele Feinde gehabt. Und er sei beunruhigt gewesen.«
»Das hat er mir jedenfalls gesagt.«
»Was genau hat er gesagt?«
»Daß solche wie er Feinde hätten.«
»Das war alles?«
»Ja.«
»›Solche wie ich haben Feinde‹?«
»Ja.«
»Was meinte er damit?«
»Ich habe schon gesagt, daß ich ihn nicht mehr kannte.«
Ein Wagen bremste an der Bordsteinkante, und Nyberg stieg aus. Wallander beschloß, das Gespräch mit Frau Falk fürs erste zu beenden. Er notierte ihre Telefonnummer und sagte, er werde
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