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Wallander 08 - Die Brandmauer

Wallander 08 - Die Brandmauer

Titel: Wallander 08 - Die Brandmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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macht dann einen oder eventuell den zweiten Abendspaziergang. In der Nacht wird er vor einem Geldautomaten in der Nähe seiner Wohnung tot aufgefunden. Nach einer vorläufigen Untersuchung des Fundorts und aufgrund des gerichtsmedizinischen Gutachtens wird der Verdacht auf ein Verbrechen abgeschrieben. Später wird seine Leiche aus dem Leichenschauhaus entwendet, und ein elektrisches Relais, das aus der Transformatorstation bei Ystad stammt, wird auf der Bahre gefunden. Bei einem nachfolgenden Einbruch in die Wohnung des Mannes verschwinden zumindest ein Tagebuch und ein Foto.
    Am Rande dieser Ereignisse, als einer der Männer auf diesem |173| Foto und als Gast an einem Restauranttisch, figuriert ein asiatischer Mann.
    Wallander las noch einmal, was er geschrieben hatte. Er wußte natürlich, daß es noch zu früh war, auch nur vorläufige Schlußfolgerungen zu ziehen. Dennoch tat er es. Bei der Zusammenstellung des Materials war ihm plötzlich etwas aufgefallen, woran er bis dahin nicht gedacht hatte.
    Der Grund für Sonja Hökbergs Ermordung mußte sein, daß jemand sie daran hindern wollte zu sprechen. Tynnes Falks Körper war entwendet worden, um etwas zu verbergen. Das war ein gemeinsamer Nenner. Beide Ereignisse waren von dem Bedürfnis bestimmt, etwas zu verbergen.
    Die Frage lautet also, was verborgen werden soll, dachte Wallander. Und von wem.
    Er tastete sich vor, langsam und vorsichtig, als bewege er sich auf vermintem Gelände. Von Rydberg hatte er gelernt, daß Ereignisse nicht unbedingt nach ihrem chronologischen Verlauf gedeutet werden konnten. Das Wichtigste konnte ebensogut zuerst wie zuletzt geschehen. Oder irgendwo dazwischen.
    Wallander wollte seine Notizen gerade zur Seite schieben, als ihm noch etwas in den Sinn kam. Zunächst wußte er nicht genau, was es war. Dann fiel es ihm ein. Erik Hökberg hatte von der Verwundbarkeit der Gesellschaft gesprochen. Wallander nahm sich seine Aufzeichnungen noch einmal vor. Was geschah, wenn er die Transformatorstation ins Zentrum rückte? Jemand hatte mit Hilfe eines menschlichen Körpers einen Stromausfall in großen Teilen Schonens verursacht. Die Verdunklung war umfassend gewesen und konnte als Sabotageakt seitens eines Menschen gedeutet werden, der wußte, wo er zuschlagen mußte. Und warum war das Relais auf der Bahre zurückgelassen worden? Die einzig sinnvolle Erklärung war, daß jemand den Zusammenhang zwischen Sonja Hökberg und Tynnes Falk als ganz eindeutig erscheinen lassen wollte. Aber was besagte das eigentlich?
    Irritiert schob Wallander seine Papiere beiseite. Es war zu früh für mögliche Interpretationen. Sie mußten weitersuchen, unvoreingenommen und gründlich.
    Er trank seinen Kaffee, während er geistesabwesend mit seinem |174| Stuhl balancierte. Dann zog er die herausgeriSSene Zeitungsseite hervor und las weiter in den Kontaktanzeigen. Wie würde meine eigene Anzeige aussehen? dachte er. Wer würde sich eigentlich für einen fünfzigjährigen Kriminalbeamten interessieren, der an Diabetes leidet und immer weniger Lust zu seiner Arbeit hat? Der weder etwas für Waldspaziergänge noch Abende am Kamin oder Segeln übrig hat?
    Er legte die Zeitungsseite fort und fing an zu schreiben:
    Fünfzigjähriger Kriminalbeamter, geschieden, erwachsene Tochter, möchte aus seiner Einsamkeit ausbrechen. Aussehen und Alter spielen keine Rolle. Aber du solltest häuslich sein und gerne Opern hören. Antwort an »Kripo 97«.
    Alles Lüge, dachte er. Das Aussehen spielt eine große Rolle. Und ich will auch gar nicht aus meiner Einsamkeit ausbrechen. Ich suche Gemeinsamkeit. Das ist etwas ganz anderes. Ich möchte eine Frau, mit der ich schlafen kann, eine, die dann da ist, wenn ich es will. Und eine, die mich in Frieden läßt, wenn ich allein sein will. Er zerriß das Blatt und fing von vorne an. Diesmal wurde die Anzeige übertrieben aufrichtig:
Fünfzigjähriger Kriminalbeamter, Diabetiker und geschieden, erwachsene Tochter, sucht Partnerin für gelegentliche Zweisamkeit. »Du« sollst hübsch sein, eine gute Figur und Interesse an Erotik haben. Antwort unter »Alter Hund«.
    Wer würde wohl auf so etwas antworten? dachte er. Bestimmt keine, die noch bei Verstand war.
    Er blätterte um und fing noch einmal an. Fast sofort wurde er von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Zwölf Uhr schon. Es war Ann-Britt. Zu spät merkte er, daß die Kontaktanzeigen noch auf dem Tisch lagen. Er riß die Zeitungsseite an sich und stopfte sie in den Papierkorb.

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