Wallander 09 - Der Feind im Schatten
dicken Glas bewegten. Wassertanks und Plastikschläuche füllten den Raum. Was Wallander jedoch am meisten verblüffte, waren raffiniert konstruierte Tunnel auf dem Boden des Aquariums, durch die elektrische Züge in vorgegebenen Bahnen sausten. Die Tunnel waren durchsichtig, Glas hinter Glas. Kein Tropfen Wasser drang hinein. Die Züge sausten herum, ohne dass die Fische sich dieser Eisenbahnlinie auf ihrem künstlichen Meeresboden bewusst zu sein schienen.
»Der Tunnel ist fast eine Kopie des Tunnels zwischen Dover und Calais«, sagte Talboth. »Als ich dieses Modell baute, habe ich die Originalzeichnungen benutzt und gewisse Konstruktionsdetails übernommen.«
Wallander dachte an Håkan von Enke, der mit seinem Buddelschiff in der entlegenen Jagdhütte saß. Es gibt eine Verwandtschaft jenseits ihrer Freundschaft, dachte er. Aber was das bedeutet, vermag ich nicht zu sagen.
»Es macht mir Spaß, mit den Händen zu arbeiten«, fuhr Talboth fort. »Nur sein Gehirn zu benutzen ist nicht gut für den Menschen. Geht es dir ebenso?«
»Das kann ich nicht behaupten. Mein Vater war geschickt mit den Händen. Aber ich habe nichts davon geerbt.«
»Was machte dein Vater?«
»Er stellte Bilder her.«
»Er war also Künstler? Warum benutzt du das Wort ›herstellen‹?«
»Mein Vater war ein wenig speziell«, sagte Wallander. »Ermalte sein ganzes Leben lang eigentlich nur ein Motiv. Viel mehr ist dazu nicht zu sagen.«
Talboth bemerkte Wallanders Unwillen und stellte keine weiteren Fragen. Sie betrachteten die langsamen Bewegungen der Fische und die Züge, die in ihren Tunneln dahinsausten. Wallander bemerkte, dass sie sich nicht immer an exakt der gleichen Stelle trafen. Es gab eine Verschiebung, die zunächst kaum bemerkbar war. Er sah auch, dass die Züge auf einer bestimmten Strecke auf demselben Gleis liefen. Er zögerte, stellte dann aber doch eine Frage bezüglich seiner Beobachtung.
Talboth nickte. »Gut gesehen«, sagte er. »Du hast recht. Ich habe eine kleine Verzögerung ins System eingebaut.«
Von einem Wandregal nahm er eine Sanduhr, die Wallander beim Betreten des Raums nicht aufgefallen war.
»Hier ist Sand aus Westafrika«, sagte Talboth. »Um geographisch korrekt zu sein, von den Stränden der kleinen Inselgruppe Buback, die Guinea-Bissau vorgelagert ist, einem Land, das die meisten Menschen nicht einmal dem Namen nach kennen. Es war ein alter englischer Admiral, der bestimmte, dass dies der perfekte Sand für die englische Flotte sei, als noch Stundengläser für die Zeitmessung benutzt wurden. Wenn ich diese Sanduhr in exakt dem Moment umgedreht hätte, als ich den Stromschalter betätigte und die Züge starten ließ, hättest du erlebt, dass der eine Zug den anderen in exakt neunundfünfzig Minuten einholt. Ich tue dies manchmal, um zu kontrollieren, ob der Sand im Stundenglas etwa langsamer rinnt oder der Transformator seine Spannung verliert.«
Als Junge hatte Wallander von einer eigenen Märklin-Eisenbahn geträumt. Doch sein Vater hatte es sich nie leisten können, ihm eine Anlage zu kaufen. Der Gedanke an Züge wie die, die er gerade vor sich hatte, stellte noch immer einen unerfüllbaren Traum dar.
Sie setzten sich auf den Balkon. Der Sommernachmittag war warm, und Talboth hatte Eiswasser und Gläser auf den Tisch gestellt.
Wallander hatte sich überlegt, dass es keinen Grund für ihn gab, nicht direkt zur Sache zu kommen. »Was hast du gedacht, als du hörtest, dass Louise verschwunden war?«
Talboths klare Augen waren unverwandt auf Wallander gerichtet. »Ich war vielleicht nicht direkt überrascht«, erwiderte er.
»Warum nicht?«
Talboth zuckte mit den Schultern. »Ich brauche dir nicht zu erzählen, was du schon weißt. Håkans Verdacht, der immer unerträglicher wurde – jetzt können wir wohl von einer Gewissheit sprechen –, mit einer Vaterlandsverräterin verheiratet zu sein. Kann man so sagen? Mein Schwedisch ist nicht immer ganz korrekt.«
»Es ist richtig«, sagte Wallander. »Wenn man spioniert, verrät man meistens sein Vaterland. Es sei denn, man treibt spezifischere Dinge wie Industriespionage.«
»Håkan verschwand, weil er es nicht mehr aushielt«, fuhr Talboth fort. »Er versteckte sich, weil er Zeit zum Nachdenken brauchte. Als Louise verschwand, war er im Großen und Ganzen fertig mit seinen Überlegungen. Er würde die Beweise, die er hatte, dem militärischen Nachrichtendienst übergeben. Alles sollte korrekt ablaufen. Er hatte nicht die Absicht,
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