Wallander 09 - Der Feind im Schatten
beteiligen wollte, das zerfallende Sowjetimperium zusammenzuhalten. Das waren seine ersten Worte. Dann kam der Köder, den er vorbereitet hatte. Er kenne viele sowjetische Spione, die im Westen arbeiteten. Besonders betreffe dies einige sehr geschickte Agenten, die von den Niederlanden aus operierten. Anschließend nahmen die Sicherheitsleute sich den Mann vor. Er wurde in eine Wohnung in Den Haag gebracht, ironischerweise in unmittelbarer Nähe zu den Räumlichkeiten des Internationalen Gerichtshofs, dort wurde er auseinandergenommen , wie niederländische Kollegen es ausdrückten. Es dauerte nicht allzu viele Tage, bis man erkannte, dass Oleg Linde nicht ganz echt war. Man hielt seine Identität geheim, begann aber sogleich, den Kollegen in aller Welt mitzuteilen, dass ein richtiges Prachtstück, eine echte Antiquität , aufgetaucht sei. Wollte man herkommenund sich ein Bild machen? Das Stück untersuchen? Es gingen Berichte aus Moskau ein, dass der KGB kopfstand, sie liefen wie aufgescheuchte Ameisen in dem Haufen herum, den jemand mit einem Stock umgerührt hatte. Oleg Linde war einer von denen, die absolut nicht verschwinden durften. Aber jetzt war er weg, spurlos, und man fürchtete das Schlimmste. Die Russen begriffen, dass er in den Niederlanden war, als ihr dortiges Agentennetz zusammenbrach. Er hatte seinen großen Ausverkauf begonnen, wie wir sagten. Und er war billig. Er wollte nur einen neuen Namen und eine neue Identität. Soweit ich weiß, ging er nach Mauritius, ließ sich in einer Stadt mit dem wunderbaren Namen Pamplemousse nieder und brachte sich dort als Schreiner durch. Anscheinend war der gute Oleg Linde Kunstschreiner gewesen, bevor er beim KGB landete. Aber was diesen Teil der Geschichte betrifft, bin ich weniger gut informiert.«
»Was macht er jetzt?«
»Er ruht in Frieden. Er starb im Jahr 2006 an Krebs. Auf Mauritius heiratete er eine junge Dame, mit der er ein paar Kinder bekam. Aber über deren Leben weiß ich nichts. Seine Geschichte erinnert übrigens an die eines anderen abgesprungenen Agenten, der ›Boris‹ genannt wurde.«
»Von dem habe ich reden hören«, sagte Wallander. »Es muss in jenen Jahren abgesprungene Russen fast wie am Fließband gegeben haben.«
Talboth stand auf und ging in die Wohnung. Unten auf der Straße fuhren mehrere Feuerwehrautos mit eingeschalteten Sirenen vorbei.
Talboth kam mit dem randvoll gefüllten Wasserkrug zurück. »Er gab uns die Information, dass der Spion, nach dem wir in Schweden schon so lange suchten, wirklich eine Frau war«, sagte er und setzte sich wieder. Ihren Namen kannte er nicht, sie wurde von einigen Leuten im KGB betreut, die vollkommen unabhängig von anderen Offizieren arbeiteten.So machte man es mit besonders wertvollen Agenten. Aber er war sicher, dass sie eine Frau war. Sie arbeitete weder bei den Streitkräften noch in der Waffenindustrie. Das bedeutete also, dass sie einen oder vielleicht mehrere Lieferanten hatte, von denen sie mit Leckerbissen versorgt wurde, die sie weiterverkaufte. Es wurde nie klar, ob sie aus ideologischen Gründen spionierte oder ein rein kommerzielles Unternehmen betrieb. Nachrichtendienste ziehen immer Spione vor, die Geschäfte machen. Wenn zu viel ideologische Überzeugung hineinspielt, kann das Ganze leicht entgleisen. Auf die Glaubensstarken kann man sich nie ganz verlassen, pflegen wir zu sagen. Unsere Branche ist eine zynische Branche, und das muss sie sein, wenn sie brauchbare Arbeit liefern soll. Wir wiederholen unser Mantra, dass wir die Welt vielleicht nicht besser, aber auf jeden Fall nicht schlechter machen. Wir rechtfertigen uns damit, dass wir eine Art Gleichgewicht des Schreckens aufrechterhalten, was wir wahrscheinlich auch tun.«
Talboth rührte die Eisstücke im Krug mit einem Löffel um. »Die Kriege der Zukunft«, sagte er nachdenklich, »die werden um Grundressourcen wie Wasser geführt. Unsere Soldaten werden für Wasserpfützen sterben.«
Er füllte, beinahe traurig, sein Glas und achtete sorgsam darauf, nichts zu verschütten. Wallander wartete.
»Wir haben sie nie gefunden«, fuhr Talboth fort. »Wir unterstützten die Schweden, so gut wir konnten, aber sie wurde nie identifiziert, nie enttarnt und gefasst. Wir fingen an, in Betracht zu ziehen, dass sie vielleicht nur eine Erfindung war. Aber die Russen erfuhren nach wie vor Dinge, die sie nicht wissen sollten. Wenn Bofors ein raffiniertes technisches Detail in einem Waffensystem entwickelte, so wussten die Russen in
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