Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Zimmerservice existierte ebenso wenig. Doch sie wusste, worauf sie sich eingelassen hatte, sie umarmte ihn plötzlich, und ihn erfasste eine wilde Gier, die er nicht kontrollieren konnte. Sie landeten in seinem Bett, er erinnerte sich nicht, wann er zuletzt mit einer Frau geschlafen hatte, und im Körper dieser Isabel versuchte er Baiba und Mona und andere Frauen wiederzufinden, die er seit langem vergessen hatte. Das Ganze ging sehr schnell, und als Wallander das Begehren erneut aufwallen fühlte, war sie längst eingeschlafen und ließ sich nicht wecken. Mit einer schlafenden und schnarchenden Frau Liebe zu machen, das überstieg die Grenzen seiner Vorstellung. Es blieb nichts anderes übrig, als selbst zu schlafen, und das tat er auch, eine Hand zwischen ihren schweißfeuchten Schenkeln.
Die Hand lag noch da, als er im Morgengrauen erwachte. Er hatte Kopfschmerzen, die Zunge klebte im Mund, und sogleich beschloss er zu fliehen, weg aus diesem Zimmer und von Isabel, die an seiner Seite schlief. Er zog sich leise an, sah ein, dass er sich besser nicht ans Steuer seines Wagens setzen sollte, konnte sich aber auch nicht vorstellen hierzubleiben. Er nahm seine Tasche und ging hinunter zur Rezeption, wo ein junger Mann auf einer Pritsche unterdem altmodischen Schlüsselschrank schlief. Er wachte auf, als Wallander rief, machte die Rechnung fertig und gab das Wechselgeld zurück.
Wallander legte den Schlüssel zusammen mit einem Zehn-Euro-Schein auf die Theke. »Im Zimmer schläft noch eine Frau. Ich nehme an, das reicht auch für sie?«
»Alles klar«, sagte der junge Mann und gähnte.
Wallander hastete zu seinem Wagen und machte sich auf in Richtung Berlin. Er fuhr nur bis zum nächsten Parkplatz. Dort bog er ein und rollte sich auf der Rückbank zusammen, um zu schlafen. Er bereute stark, was in der Nacht geschehen war. Er versuchte sich einzureden, dass es nicht so schlimm war. Immerhin hatte sie kein Geld von ihm verlangt. Sie konnte ihn auch nicht als vollkommen abstoßend erlebt haben.
Um neun Uhr wurde er wach und fuhr weiter. Von einem Motel an der Autobahn rief er George Talboth an, der eine Karte zur Hand hatte und schnell den Ort fand, an dem Wallander sich befand.
»Ich bin in ungefähr einer Stunde da«, sagte er. »Setz dich solange in die Sonne.«
»Wie kommst du her? Ich dachte, du hättest keinen Führerschein?«
»Das lässt sich regeln.«
Wallander kaufte Kaffee in einem Pappbecher und setzte sich vor dem Restaurant des Motels in den Schatten. Er fragte sich, ob Isabel schon wach geworden war und sich wunderte, wo er geblieben war. Er hatte fast keine Erinnerung an Einzelheiten ihrer plumpen und gefühllosen Liebesbegegnung. War es überhaupt dazu gekommen? Die verschwommenen Fragmente, die er vor sich sah, waren ihm nur peinlich.
Er holte sich einen zweiten Kaffee, dazu ein eingeschweißtes Sandwich. Als ob man auf einem Schwammkaute, dachte er. Als er sich das halbe Sandwich hineingequält hatte, warf er den Rest den Tauben hin, die am Boden pickten.
Die Stunde verging. Immer noch kam kein Amerikaner, der nach einem schwedischen Kriminalbeamten suchte. Erst nach einer weiteren Viertelstunde hielt ein schwarzer Mercedes an der Rezeption des Motels. Der Wagen hatte Diplomatenkennzeichen. Wallander begriff, dass Talboth angekommen war. Ein Mann in einem weißen Anzug und mit Sonnenbrille stieg aus. Er blickte sich um und entdeckte Wallander sofort.
Er kam auf ihn zu und nahm die Sonnenbrille ab. »Kurt Wallander?«
»Das bin ich.«
George Talboth war an die zwei Meter groß, von kräftiger Statur, und sein Handschlag hätte Wallander erdrosseln können, wenn man ihm die Hand um den Hals gelegt hätte.
»Der Verkehr war dichter, als ich dachte. Es tut mir leid, dass ich verspätet bin.«
»Ich habe deinen Rat befolgt und das schöne Wetter genossen. An die Uhrzeit habe ich gar nicht gedacht.«
George Talboth hob die Hand und winkte dem Mercedes mit dem unsichtbaren Chauffeur. Der Wagen glitt davon.
»Ich bekomme die Hilfe, die ich brauche«, sagte er. »Fahren wir?«
Sie setzten sich in Wallanders Peugeot. Talboth erwies sich als lebender GPS-Empfänger, der Wallander in dem immer dichter werdenden Verkehr ohne Zögern den richtigen Weg wies. Nach einer guten Stunde hielten sie vor einem schönen Altbau im Stadtteil Schöneberg. Wallander dachte, dass es eines der wenigen Häuser war, die das Ende des Zweiten Weltkriegs überlebt hatten, als Hitler sich in seinem Bunker erschoss
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