Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
geschrieben worden war, Aristophanes’ Komödie Die Acharner hätte ein Stück namens Die Neumonde geschlagen, das dort mir zugeschrieben wurde. Ich habe nie ein Stück dieses Titels verfaßt, und wenn der Abschreiber 382
so gescheit gewesen wäre, jemanden zu fragen, der mich kannte, hätte er herausgefunden, daß ich in jenem Jahr noch viel zu jung gewesen war, um einen Chor bewilligt zu bekommen; wie Sie sich vielleicht erinnern, handelte es sich bei den Acharner um jenes Stück, für das Aristophanes die Feier gegeben hatte, zu der ich gegangen war. Aber ich hatte keine Lust, den Abschreiber eigens aufzusuchen und auf der Berichtigung des Fehlers zu beharren, obwohl meine Neumonde angeblich auf dem dritten Platz gelandet sein sollten. Vor zwanzig Jahren hätte ich ihm für solche Behauptungen über mich natürlich kurzerhand den Kopf abgeschlagen.
Nicht lange nach dem Erfolg der Schmeichler, zu einer Zeit, als ich noch ein Stückchen zufriedener mit mir war als sonst, hörte ich, daß meine Tochter Kleopatra gestorben sei, ganz plötzlich, weil sie verdorbenes Wasser getrunken hatte. Als mich die Nachricht erreichte, hatte die Beerdigung schon stattgefunden, da ich mich zu jenem Zeitpunkt mit einem Freund in Araphen aufhielt und niemand wußte, wo ich war. Mein Gastgeber hatte zwar Mitleid mit mir und schickte sogar die Gäste fort, die er eingeladen hatte, aber ich muß gestehen, daß mein vorherrschendes Gefühl Erleichterung war. Ich nehme an, das klingt sehr herzlos, besonders heutzutage, aber ich hatte das Kind nicht einmal zu Gesicht bekommen, und irgendwie schien es angesichts der Umstände seiner Geburt und dieses dummen, geradezu unverschämten Namens, den ihm Phaidra gegeben hatte, unsere Trennung zu verkörpern. Sie kennen die Geschichte des Helden Meleagros; wie die dritte Moire bei seiner Geburt 383
prophezeite, daß er nur so lange leben werde, wie ein bestimmtes Holzscheit im Feuer brenne, und wie Meleagros’ Mutter das Scheit in einer Truhe verbarg, bis sie es eines Tages viele Jahre später im Zorn ins Feuer warf und so den Tod ihres Sohns herbeiführte. Nun, ich hatte es mir irgendwie in den Kopf gesetzt, daß ich es, solange Kleopatra lebte, nicht über mich bringen könne, Phaidra wiederzusehen, obwohl ich mich schon seit langem damit abgefunden hatte, daß es sich um mein eigenes Kind handelte. Jetzt aber war es gestorben, so plötzlich und unerklärlich wie Meleagros. Ich fühlte mich wegen Kleopatras Tod nicht schuldig; aber es schien mir irgendein Sinn darin zu liegen. Wenn ich einer jener Menschen wäre, die daran glauben, was in den Mysterien gesagt wird, würde ich bestimmt alles damit erklären, daß meine unschuldige Tochter zum Wohle der Menschheit geopfert werden mußte; doch mit derlei Unsinn konnte ich noch nie etwas anfangen.
Also nahm ich von meinem Gastgeber in Araphen Abschied und ritt in die Stadt, wo ich allerdings feststellen mußte, daß Phaidra nicht da war. Der Aufseher im Haus sagte, sie sei abgereist, um draußen in der Nähe von Eleusis bei ihrem Onkel zu wohnen, und sie werde nicht vor einem Monat zurückkehren. Kurz überlegte ich, ihr nach Eleusis nachzureisen, aber ich hatte in der Stadt geschäftliche Dinge zu erledigen, die keinen Aufschub duldeten, entschied mich deshalb, bis auf ihre Rückkehr zu warten. Ich ging ins Haus und erkundigte mich bei den Bediensteten, wie es Phaidra ergangen war.
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Zuerst sprachen sie nur ungern mit mir, doch als ich sie erst einmal davon überzeugt hatte, mich mit ihr versöhnen zu wollen, waren sie kaum noch zu halten. Ihre Herrin sei furchtbar unglücklich gewesen, sagten sie; sie sei zu Hause geblieben und habe ihre Wolle gesponnen und Umhänge und Chitons für mich gewebt, weil sie stets gehofft habe, ich werde eines Tages zurückkommen. Nicht einen Tropfen Wein habe sie angerührt – es sei sogar nie ein Tropfen im Haus gewesen –, und sie habe sich alle meine Stücke angesehen. All das rührte mich zutiefst, bis ich mehrere zerbrochene Weinkrüge auf dem Aschenhaufen entdeckte, was mich mißtrauisch machte. Deshalb bat ich die Diener, mir die Kleidungsstücke zu zeigen, die Phaidra für mich angefertigt hatte – inzwischen mußten es mehrere Truhen voll sein. Sie blickten mich verlegen an und gaben zu, leicht übertrieben zu haben, sowohl in bezug auf die Kleidern als auch auf den Wein. Aber sie schworen bei Styx, es seien nie irgendwelche Männer im Haus gewesen, und boten mir an, sie zu foltern, falls ich
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