Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
meiner Siegesfeier überlegt.
Die Ausweglosigkeit meiner Lage wurde mir erst nach der Aufführung bewußt (mein Stück war als letztes angesetzt worden), als die Mitwirkenden hinter der Bühne feierten.
Eine Zeitlang saß ich mit in die Hände gestütztem Kopf da und versuchte, mir einen Ausweg aus der Klemme zu überlegen. Wie ich es sah, blieben mir drei Möglichkeiten: gar keine Siegesfeier abzuhalten (was so undenkbar war, wie eine Schlacht auszutragen, ohne danach die Siegesbeute einzusammeln, oder wie Getreide anzubauen, ohne es zu ernten), sie in Phaidras Haus abzuhalten oder jemand anders zu finden. Ich hatte mich gerade dazu durchgerungen, den Geldgeber – einen mit Dummheit geschlagenen, kümmelsamenspaltenden alten Geizhals namens Antimachos –, zu bitten, mir sein Keramiklagerhaus in Piräus zur Verfügung zu stellen, als ein Bote kam, der nach mir suchte. Es war Phaidras Sklave Doron.
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»Meine Herrin bittet mich, dir auszurichten, daß sie ihren Vater auf dem Land besucht«, teilte er mir mit, »und dir das Haus deshalb drei Tage lang zur Verfügung steht.
Sie bittet dich nur, dafür zu sorgen, daß sich deine Freunde auf den Liegen nicht übergeben.«
Zu diesem Zeitpunkt dankte ich Dionysos bereits mit emporgestreckten Händen und machte mich umgehend daran, Einladungen auszusprechen. Erst als man mich zu Philodemos’ Haus heimtrug, ermahnte mich mein Gewissen, daß es sich hierbei um die großmütige Geste eines Menschen handelte, der von mir nicht gut behandelt worden war. Allerdings hatte ich so viel Wein getrunken, daß etwas davon bis tief in mein Innerstes durchgesickert sein mußte, denn in jener Nacht war mir ungewöhnlich sentimental zumute.
Nach ein paar Stunden Schlaf war ich wieder auf den Beinen und vollauf damit beschäftigt, Philodemos’
gesamte Dienerschaft, Kallikrates und den Hausherrn selbst mit Einladungen durch die Stadt zu schicken, da sie unter keinen Umständen ausgeschlagen werden durften.
Meine eigene Rolle in diesem xerxischen Feldzug war die des Quartiermeisters, und ich füllte meinen Geldbeutel bis obenhin und machte mich zum Markt auf. Kaum hatte ich den Fuß vor die Tür gesetzt, traf mich das grelle Sonnenlicht wie ein Schlag ins Gesicht, aber ich hielt tapfer durch und kaufte jeden Tropfen Wein in Athen auf, den ich ergattern konnte. Zudem legte ich mir einen angemessenen Vorrat an Lebensmitteln an, hauptsächlich Fisch, falls die Gäste vergessen sollten, selbst etwas mitzubringen. Danach machte ich mich auf den Weg zu 378
Phaidras Haus, gefolgt von einem endlos scheinenden Zug von Trägern, durch den die restliche Betriebsamkeit auf den Straßen fast gänzlich zum Erliegen kam, und machte mich schließlich an die Arbeit.
Phaidras Haus, das ich eine Zeitlang nicht gesehen hatte, bot mit seinen teuren und prunkvollen Einrichtungs-gegenständen einen großartiger Rahmen für ein Fest. Es gab dort mehr Liegen und Stühle als in Aristophanes’ Haus und genügend Mischgefäße, um die Ägäis mit dem Ozean zu mischen. Phaidra hatte alle weiblichen Gegenstände aus dem Haus entfernen lassen, und der Boden war peinlich sauber und trockengewischt. Trotzdem entdeckte ich draußen vor der Hintertür ein mit leeren Weinkrügen vollgestopftes Versteck, bereit für den Krugsammler, und ich fragte mich, wie sie es in aller Welt geschafft haben konnte, so viele allein leerzutrinken.
Selbstverständlich hatte ich nicht damit gerechnet, daß selbst die Preisrichter – die man als die begehrtesten Sammlertrophäen eines Preisträgers bezeichnen könnte –
auftauchen würden, zumal es sich dabei um Männer handelte, denen ich noch nie zuvor begegnet war. Aber sie kamen. Alle kamen, von Kleonymos und Theoros bis zu meinen unmittelbaren Nachbarn in Pallene; sogar Kratinos kam, obwohl er wirklich sehr krank war und früh gehen mußte. Nur Sokrates, Sohn des Sophroniskos, ließ sich nicht blicken, worüber ich insgeheim erleichtert war, weil er anscheinend nie betrunken wird und andauernd versucht, das Gespräch an sich zu reißen. O nein, ganz gewiß war es keine dieser gemütlichen kleinen Feiern, bei denen sieben oder acht enge Freunde im Halbkreis zusammensitzen und 379
sich über den Sinn der Wahrheit unterhalten, so, wie die Leute heutzutage Siegesfeiern begehen. Es handelte sich um eine zünftige athenische Sauferei nach alther-gebrachtem Muster. Die formellen Trinkregeln, die ich mir ausgedacht hatte, der ausgeklügelte Ablauf und die Reihenfolge von
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