Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
ihnen nicht glauben sollte.
Dann traf ein Bote aus Eleusis mit der Nachricht ein, Phaidra werde sogar noch einige Wochen später als geplant zurückkehren. Er war sehr überrascht, mich im Haus anzutreffen, und wollte nicht mehr sagen, aber ein Vierdrachmenstück bewirkte bezüglich seines Loyalitätsverständnisses wahre Wunder, und er berichtete mir, was geschehen war.
Laut seiner Erzählung hatte sich Phaidra mit ihrer Tante und einer anderen Frau auf den Weg gemacht, um an einer dieser kleinen heiligen Stätten auf dem Land irgendein 385
Opfer darzubringen; was immer schon eher ein Vorwand für ein idyllisches Mahl im Freien als ein religiöser Anlaß war. Sie hatten ihr Opfer dargebracht und den Rest des Essens verzehrt, und der Reitknecht spannte gerade die Esel an den Karren, als eins der Tiere von einer Fliege gestochen wurde und ausschlug. Phaidra, die gerade das Essenszubehör in den Karren lud, bekam einen Tritt ins Gesicht und ihr Kiefer brach. Zwar taten sie ihr möglichstes – so hielt sich gerade der hervorragende Arzt Eryximachos in der Nähe auf, und sie ließen ihn zu sich kommen, um den Bruch richten zu lassen –, doch war der Knochen zu sehr geschädigt, um wiederhergestellt werden zu können. Wie der Bote sagte, werde Phaidra nie wieder wie früher aussehen. Sie werde so etwas wie ein ständiges Grinsen im Gesicht haben. Genau so, sagte er, wobei er, ohne nachzudenken, auf mich deutete, allerdings nur auf einer Gesichtshälfte…
Ich brach in unbezähmbares Lachen aus, bis mir alle Umstehenden zornige Blicke zuwarfen, aber ich konnte nun mal nicht anders. Der Gedanke, daß meine wunderschöne Phaidra künftig genauso abstoßend wie ihr Mann aussehen würde – endlich mal ein Paar, das optisch gut zusammenpaßt, nur daß sie vermutlich noch ein paar Haare mehr hatte als ich –, war im gewissen Sinn das reinste Vergnügen, so wie man sich fühlt, wenn man das Eingreifen eines Gottes erkennt. Es war nicht dieses herrliche Gefühl, das man tief im Innern empfindet, wenn man von den Mißgeschicken eines Widersachers hört, denn es war überhaupt nichts Rachsüchtiges daran. Als ich mich wieder beherrscht hatte, bat ich den Boten, so schnell wie 386
möglich nach Eleusis zurückzukehren und Phaidra zu bestellen, daß ich auf dem Weg sei. Falls er ihr gegenüber allerdings auch nur ein Sterbenswörtchen von meiner Reaktion auf seine Nachricht erwähnen sollte, würde ich dafür sorgen, daß er den Rest seines Lebens in den Silbergruben verbrachte. Am nächsten Morgen brach ich sofort nach Eleusis auf und ließ den kleinen Zeus mit mir reiten, da es zu jener Zeit typisch für mich gewesen war, Räubern in die Arme zu laufen, wenn ich allein unterwegs war. Aber meine innere Stimme riet mir, kurz in Kallikrates’ Haus vorbeizuschauen, um das goldene Halsband zu holen, das ich von den thessalischen Prinzen als Abschiedsgeschenk erhalten hatte und das zu jener Zeit das wertvollste Einzelstück war, das ich besaß.
Ich habe mal von einem Syrer einen Dreifuß gekauft; es war ein herrliches Stück, das über und über mit bronzenen Löwenköpfen, Lapislazuli- und Glaseinlagen verziert war.
Doch war der Dreifuß viel zu teuer, und als mir ein Mann anbot, ihn mir abzukaufen, ging ich mit Freuden darauf ein, da ich mich schon immer darüber geärgert hatte, soviel Geld ausgegeben zu haben. Kaum hatte ich dem Mann das wertvolle Stück ausgehändigt, bereute ich mein Tun und suchte ihn schließlich auf, um ihn zu bitten, mir den Schemel zurückzuverkaufen. Er war ein hinterhältiger Mensch, der mit allen Wassern gewaschen war, und nun einiges mehr für den Dreifuß verlangte, als er mir gegeben hatte. Aber schließlich gab ich ihm die verlangte Summe und nahm den Dreifuß mit mir nach Hause. Erst dort fiel mir auf, daß einer der kleinen bronzenen Löwenköpfe abgebrochen war und die meisten Lapislazuli-Einlagen mit 387
einem kleinen Messer herausgebrochen worden waren, wahrscheinlich um sie für Ohrringe zu verwenden.
Trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, daß mein kostbarer Dreifuß durch diese Beschädigungen ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen worden war; ich empfand ihn dadurch sogar als noch wertvoller und habe ihn nie reparieren lassen.
Als wir in Eleusis eintrafen, war es schon fast dunkel, und Phaidras Onkel, dessen Name Parmenides lautete, stand gerade vor dem Haus.
»Ich weiß gar nicht, was du hier willst«, begrüßte er mich abweisend. »Ich habe immer gehofft, es würde dir reichen,
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