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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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wünschte mir in diesem Augenblick nichts mehr, als das Dorf von den Spartanern unberührt vorzufinden; selbst die Aussicht, Kallikrates in einem Streitgespräch zu bezwingen (was mir nie gelungen ist), war zu diesem Zeitpunkt nicht besonders verlockend.
    Wir gelangten jetzt zwischen Weingärten und Olivenhainen hindurch auf sehr viel ebeneren Boden und entdeckten keinerlei Anzeichen dafür, daß die Spartaner vor uns hier entlanggekommen waren. Kallikrates erzählte mir, er habe während seiner Militärzeit ungefähr dasselbe gemacht, allerdings sei der Dienst nach einer Weile gehörig langweilig geworden, und niemand habe auch nur die geringste Spur von Begeisterung für diese Arbeit gezeigt oder gar nach Mitteln und Wegen gesucht, die anstehenden Aufgaben besser oder schneller zu erledigen.
    Ich fragte ihn lieber erst gar nicht danach, ob er selbst auch Bauern umgebracht hatte – das wollte ich wirklich nicht wissen.
    Kallikrates verfügte von Natur aus über einen hervorragenden Orientierungssinn, und so erreichten wir 144
    fast genau die von ihm vorhergesagte Stelle, nämlich den Kamm der Hügelkette über dem Dorf. Wir sahen nach unten und erblickten zu unsrer grenzenlosen Freude einen Zug, der sich aus Maultieren, Ochsenkarren und Menschen mit Bündeln auf den Schultern zusammensetzte, die das Dorf so schnell wie möglich verließen. Die Spartaner waren also noch nicht eingetroffen, und das Dorf wurde von den Bewohnern auf fast mustergültige und geordnete Weise geräumt.
    Ich wollte gerade den Abhang des Hügels hinunterrennen, um mich dem Flüchtlingszug anzuschließen, als mir Kallikrates die Hand auf die Schulter legte und mich zu Boden drückte. Ich begriff nicht, was das sollte, und wehrte mich, doch mein Vetter hielt mir mit der anderen Hand den Mund zu und deutete nach vorn. Direkt hinter dem Dorf erhob sich eine Staubwolke.
    »Sei still!« zischte er mir ins Ohr. »Vielleicht hat das nichts zu bedeuten, aber wir sollten lieber noch einen Moment hierbleiben.«
    Ich zog seine Hand beiseite. »Sei doch nicht blöd. Wenn die Dorfbewohner die Staubwolke noch nicht gesehen haben, müssen wir sie warnen!«
    »Jetzt halt endlich die Klappe und bleib gefälligst, wo du bist!« fuhr mich Kallikrates wütend an. »Tu wenigstens dieses eine Mal das, was man dir sagt.«
    Gehorsam kauerte ich mich neben meinen Vetter in den Schatten eines Felsblocks, während die Staubwolke immer näher herankam. Mittlerweile hatten auch die 145
    Dorfbewohner sie erblickt, und ihnen behagte ihr Anblick kein bißchen mehr als uns. Einige von ihnen ließen ihre Siebensachen mitten auf der Straße fallen und rannten los, entweder die Straße entlang oder den Hügel hinauf. Andere kehrten zum Dorf um, und wieder andere blieben wie angewurzelt stehen.
    Plötzlich verwandelte sich die Staubwolke in einen Reitertrupp in vollem Galopp. Ich konnte zwar die Farbe der Umhänge nicht erkennen, aber die Helme blitzten in der Sonne, und jeder Reiter war mit zwei Speeren bewaffnet. Sie sahen nicht im entferntesten wie eine der Reitereinheiten aus, die ich in Athen gesehen hatte; dazu gingen sie viel zu geschickt und diszipliniert vor. Unter anderen Umständen wäre es das reinste Vergnügen gewesen, ihnen zuzuschauen.
    Kallikrates zog mich weiter hinter den Felsen zurück, und von dort aus verfolgten wir heimlich das Geschehen.
    Die Reiterei hatte inzwischen den Rest des Flüchtlingszugs eingeholt und warf die Speere. Die Szene erinnerte stark an eine elitäre Wildschweinjagd, wie man sie im Hügelland erlebt, wenn sich zahllose reiche junge Männer vor die Tore der Stadt begeben, um einen Tag lang Sport zu treiben – mit dem Unterschied, daß es hier keine Hunde oder Netze gab, und anders als bei der Gegenwehr eines Durchschnittswildschweins war der Widerstandsform dieser Beute nichts Belustigendes abzugewinnen. Nachdem die Reiter ihre Speere geworfen hatten, zückten sie die Säbel und zogen sich um die noch Lebenden zusammen.
    Da mein Tagesbedarf an dieser Form von Unterhaltung bereits gedeckt war, verschwendete ich auf das nun 146
    folgende Geschehen keine allzu große Aufmerksamkeit.
    Ich hatte das seltsame Gefühl, daß ich im Theater saß –
    wahrscheinlich weil ich das Schauspiel aus großer Entfernung verfolgte – und daß irgendein taktloser Gott dieses geschmacklose Schauspiel nur meinetwegen veranstaltete. Ich wäre am liebsten aufgestanden und hätte ihm gesagt, daß ich ein Komödien- und kein Tragödiendichter sei und mich

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