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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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dieses ganze Spektakel völlig kalt lasse. Außerdem verstoße es gegen sämtliche Konventionen des Theaters, den realen Mord auf die Bühne zu bringen. Zum Schluß hätte ich ihn darauf hingewiesen, daß ich das gleiche Stück bereits vor weniger als zwei Stunden gesehen hätte und es mir schon beim ersten Mal nicht besonders gefallen habe.
    Ich glaube nicht, daß der gesamte Vorfall länger als zehn Minuten dauerte. Außerdem erinnere ich mich noch, wie Kallikrates sagte: »Alles in Ordnung, sie sind weg«, und mir dazu nur einfiel, daß mein Vater immer genau dasselbe gesagt hatte, wenn meine Vettern aus Thria zu Besuch gekommen waren und ich mich wie immer im Stall versteckt hatte, weil meine Tante eine Hasenscharte hatte und mir schreckliche Angst einjagte. Jetzt lugte ich vorsichtig hinter dem Felsen hervor und sah die ganze Schweinerei.
    ›Schweinerei‹ ist wirklich das einzig treffende Wort. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal am Morgen nach dem Straßenhändlerfest in der Stadt gewesen sind und sich Richtung Marktplatz bewegt haben, aber genau der gleiche Anblick bot sich auch hier, ungelogen – haargenau dieselbe erbärmlich aussehende und niederschmetternde Schweine-147
    rei, die Leute hinterlassen, wenn sie sich eine Spur zu heftig amüsieren. Mit dem einzigen Unterschied, daß hier –
    statt der zerbrochenen Weinkrüge, verlorenen Sandalen und kleinen Lachen von Erbrochenem vor den Statuen der Helden der athenischen Geschichte – Leichen, zertrümmerte Karren und Blutlachen zu finden waren; und letztere hatten sogar die gleiche Farbe wie erbrochener Rotwein, wenn man nicht genau hinsah. Das Ziehen von solchen Vergleichen erkläre ich mir damit, daß die menschliche Seele seltsame und schreckliche Erlebnisse einfach nicht verarbeiten kann und darum dem Auge vorzutäuschen versucht, es erblicke etwas ganz Normales und Alltägliches. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum die Vergleiche in Gedichten so gut gelingen. Wenn ich Ihnen erzähle, daß die Straße mit abgeschlagenen Armen und Beinen übersät war, werden Sie sich das nicht wirklich bildlich vorstellen können, denn falls Sie noch nie mit eigenen Augen das eine oder andere Schlachtfeld gesehen haben, wissen Sie nicht einmal im entferntesten, welch ein Anblick das ist, und wollen ihn sich wahrscheinlich auch gar nicht erst ausmalen. Aber wenn ich schreibe, daß überall auf der Straße Arme und Beine wie Treibholz nach einem heftigen Seesturm am Strand verstreut lagen, dann können Sie sich sehr wohl ein Bild davon machen; und falls Sie sich in Ihrem Homer auskennen, sind Sie obendrein in der Lage, genau zu sagen, welchem Abschnitt der Kypris ich diesen Vergleich einfach entnommen habe.
    Aber zurück zum Geschehen.
    Kallikrates und ich schlenderten den Hügel hinab – Eile schien keinen großen Sinn mehr zu haben – und 148
    versuchten, uns so nützlich wie möglich zu machen, aber leider konnten wir nicht mehr viel tun. Die anderen Dorfbewohner, die so vernünftig gewesen waren, vor der herannahenden Reiterei davonzulaufen, waren zum Ort des Gemetzels zurückgeschlichen und kümmerten sich nun um die Verwandten und Freunde, für die noch nicht jede Hilfe zu spät kam, oder streuten Staub auf die Gesichter derjenigen, denen sie nicht mehr helfen konnten.
    Kallikrates und ich standen ihnen die meiste Zeit nur im Weg. Ich erinnere mich an einen Mann, der auf der Seite lag und eigentlich gar nicht augenfällig tot wirkte. Doch als wir ihn hochhoben, um zu sehen, ob er noch am Leben war, rutschte der Kopf sofort nach hinten vom Hals und blieb baumelnd an einem schmalen Hautstreifen hängen.
    Der Gesichtsausdruck des Toten war, ehrlich gesagt, haarsträubend, deshalb streuten wir schnell ein wenig Staub darüber und machten uns schleunigst davon, so wie man beim Einkaufen auf dem Marktplatz zügig weitergeht, wenn man gerade versehentlich in eine der ordentlich gestapelten Melonen- oder Orangenpyramiden gelaufen ist und sie zum Einsturz gebracht hat.
    Gerade als wir alle Hoffnung aufgaben, doch noch etwas Nützliches tun zu können, stießen wir auf einen alten Mann, der anscheinend keine Familie hatte, denn er kauerte vollkommen blutverschmiert auf dem Boden, ohne von irgend jemandem beachtet zu werden. Er verlangte mit grausig krächzender Stimme nach Wasser. Also rannte ich los, entdeckte einen Helm, der einem der Reiter vom Kopf gefallen war, füllte ihn in einem den Hügel hinab-fließenden Bach mit Wasser und brachte ihn zurück, wobei

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