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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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haben.
    Etwa vier Stunden vor Tagesanbruch wünschte ich dem Archon und seinen Gästen eine gute Nacht und verabschiedete mich. Ich war sehr viel betrunkener als je zuvor in meinem Leben, und ich hatte keine wirkliche Vorstellung davon, wo ich hinging. Mir fiel die Fackel zu Boden, die man mir gegeben hatte, und sie erlosch, so daß ich eine Weile blindlings durch die Finsternis stolperte, bis ich irgendwann hinfiel. Inzwischen hatte ich keine Ahnung mehr, wo ich mich befand, was mir allerdings auch ziemlich schnuppe war. Mein Heerführer sollte inszeniert werden – mein Chor war so gut wie kostümiert und einstudiert, und ich konnte fast schon das Rumpeln der kleinen Holzräder hören, während sich die Trierenkostüme über die Orchestra des Dionysostheaters schoben. Ich stemmte mich aus der Pfütze hoch, in die ich gefallen war, und setzte meinen ziellosen Weg fort.
    Was als nächstes geschah, ist bis heute noch ziemlich unklar; irgend jemand versperrte mir den Weg und schlug mir mit einem Stock oder einem Knüppel auf den Kopf, während mir ein zweiter von hinten den Umhang von den Schultern riß und den Geldbeutel aus dem Gürtel zog. Ich stürzte mit voller Wucht auf die rechte Schulter und blieb reglos liegen, wobei ich erst gar nicht zu atmen versuchte.
    »Jetzt hast du’s geschafft, Orestes«, flüsterte der Mann hinter mir, und mir erstarrte das Blut in den Adern. Der Mann, der über mir stand, war, solange ich zurückdenken konnte, damals der gefürchtetste Räuber in Athen. »Du hast ihn umgebracht, ist dir das klar?«
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    »Für den Kerl war der Schlag noch nicht mal hart genug«, antwortete Orestes lachend. »Komm, wir sollten lieber verschwinden.«
    Ich wartete, bis ihre Schritte verhallt waren, und versuchte dann, mich zu bewegen, es gelang mir aber nicht.
    Meine innere Stimme jammerte: »Das hast du nun von deinem übertriebenen Stolz, Eupolis, du Dummkopf! Du bist gelähmt. Man wird dich in einer Sänfte ins Theater tragen müssen.« Ich spürte, wie mir die Tränen über Nase und Wangen liefen, aber ich konnte die Hand nicht bewegen, um sie abzuwischen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dalag und mir kläglich selbst etwas vorjammerte; doch irgendwann stolperten ein paar alte Männer über mich, die schon so früh unterwegs waren, um mit als erste in der Schlange für das Richteramt anzustehen, und erblickten das Blut an meinem Kopf. Sie fragten mich, was geschehen sei, und ich krächzte nur das eine Wort hervor: »Orestes.«
    »Ach, jetzt red keinen Unsinn, mein Sohn!« entgegnete einer der alten Männer. »Der ist vor fünf Jahren gehängt worden.«
    Das schien meinem Elend irgendwie die Krone aufzusetzen; von dem großen Orestes zum lebenslangen Krüppel gemacht worden zu sein, wäre etwas gewesen, mit dem ich in den langen Jahren vollkommener Bewegungslosigkeit, die vor mir lagen, hätte prahlen können.
    »Ich kann mich nicht bewegen«, keuchte ich. »Verstehst ihr mich? Ich kann mich nicht…«
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    »Das überrascht mich nicht«, erwiderte der alte Mann.
    »Du liegst auf deinem Umhang und hast dir deshalb den Arm eingeklemmt.«
    »Der ist überhaupt nicht verletzt«, sagte ein anderer alter Mann. »Hast du schon mal seinen Atem gerochen?«
    Alle fingen an zu lachen und gingen weiter. Kaum waren sie um die Ecke verschwunden, machte ich einen zweiten Versuch, mich zu bewegen, und stand bald aufrecht und rieb mir den schmerzenden Kopf. Es war jetzt fast hell, und ich erkannte allmählich das Viertel, in das ich gegangen war. Phaidras Haus – mein Haus – lag gleich um die Ecke. Ich hob meinen Stock auf, der unter mir zerbrochen war, und schlich langsam bis zu meiner Haustür.
    Darunter fiel Licht hindurch, und drinnen waren singende Stimmen zu hören, aber ich hatte nicht die Kraft, wütend zu sein. Ich schlug nur mit dem gebogenen Griff meines Stocks gegen die Tür und lehnte mich schwer gegen den Rahmen.
    »Wenn das Mnesarchos ist, der zurückkommt«, hörte ich Phaidra rufen, »dann sag ihm, er soll weggehen, bis er wieder nüchtern ist! Der Wandteppich kostet zwanzig Drachmen.«
    Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, und ich warf mein ganzes Gewicht dagegen. »Du hast zwanzig Drachmen für einen Wandteppich bezahlt, du blöde Kuh?«
    schrie ich Phaidra an und fiel nach vorn in den Raum.
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    Es gab so etwas wie einen schrillen Aufschrei, und Phaidra schlug sich hastig eine Tischdecke um. Die Männer waren nicht so flink.
    »Was denkst du dir eigentlich dabei, in solch einem

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