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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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machte mich auf den Weg zum Haus des Archon. Mein lieber Kallikrates 267
    sah, wie aufgeregt ich war, und bot mir seine Begleitung an, aber ich lehnte ab. Ich wollte allein gehen, sogar ohne den kleinen Zeus. Ich fühlte mich wie Theseus, als er sich zum Labyrinth aufmachte.
    Es war schon fast dunkel, und ich hatte schreckliche Angst, Räubern in die Arme zu laufen, die mir wegen der wertvollen Bronzehülsen die Rollen stehlen könnten; aber offenbar fand in dieser Nacht am anderen Ende der Stadt eine große Beerdigung statt, so daß die Straßen verlassen und sicher waren. Ich gelangte an die Tür des Archons und klopfte laut an, um mir selbst Mut zu machen.
    Ein Dienstmädchen öffnete die Tür und fragte, wer zu dieser nachtschlafenden Zeit einen derartigen Lärm veranstalte. Ich nannte meinen Namen und sagte ihr, daß ich den Archon zu sprechen wünsche.
    »Ist es wichtig?« wollte sie wissen. »Er hat Gäste. Sie singen gerade die Harmodioshymne.«
    Der Gedanke, wegzugehen und am nächsten Tag wiederzukommen, war mehr, als ich ertragen konnte, und deshalb antwortete ich: »Ja, es ist sogar sehr wichtig. Du solltest mich jetzt lieber reinlassen.«
    Als ich das Haus betrat, besann ich mich sofort eines Besseren. Was konnte schließlich mehr geeignet sein, den Zorn des Archons zu erregen, als bei ihm hereinzuplatzen, wenn er gerade mit ein paar Freunden trank? Es wäre schon ein Wunder gewesen, wenn er die Rollen von mir entgegengenommen hätte. Ich blickte mich verzweifelt im Raum um. Zu meinem Entsetzen sah ich, daß zu den Gästen, die mich allesamt verdutzt anstarrten, einige der 268
    Männer gehörten, die in dem Stück von mir am erbarmungs- und schamlosesten angegriffen wurden. Da war beispielsweise Hyperbolos, neben ihm Kleonymos, der Aasgeier, und Kleon höchstpersönlich, den ich näher kannte und der mich freundlich und aufmunternd anlächelte. Ich brachte stammelnd mein Anliegen vor, stieß dem Archon die Rollen entgegen (aus irgendeinem Grund kann ich mich nicht an seinen Namen erinnern, obwohl mir jede andere Einzelheit der Szene so deutlich ins Gedächtnis eingebrannt ist wie die Inschrift auf diesen verflixten Bronzezylindern) und wollte mich schon aus dem Staub machen.
    »Das ist also dein berühmter Heerführer, Sohn des Euchoros«, grummelte der Archon schwerfällig – er hatte jenes Stadium der Enthemmung erreicht, das leicht mit Trunkenheit verwechselt werden kann. »Leg dich hin, und trink einen Becher mit uns! Wir haben schon alle von deinem phantastischen Stück gehört, nicht wahr, meine Freunde?«
    Seine Gäste murmelten, ganz gewiß hätten sie das, und ich begann zu schwitzen. Ich hatte das Gefühl, noch einmal auf diesem Hohlweg auf Samos zu sein, nur war der Feind diesmal durchaus in Reichweite.
    »Gib ein paar Zeilen zum besten«, forderte mich Kleonymos auf, wobei er sich Austernsoße vom Kinn wischte. »Mir steht der Sinn nach etwas Dichtung.«
    »Das ist doch Quatsch!« meldete sich Kleon zu Wort.
    »Schließlich ist es noch früh, und wir haben den Verfasser 269
    hier. Also laßt uns das ganze Stück hören. Du hast doch heute nacht Zeit, Eupolis, oder?«
    Ich stammelte etwas von einer Feier, zu der ich zu kommen versprochen hätte, und daß ich wirklich schon viel zu spät dran sei.
    »Das trifft sich doch gut«, meinte jemand. »Wenn du sowieso schon zu spät dran bist, gehst du besser überhaupt nicht mehr hin. Zu spät zu kommen, ist eine Unsitte. Also bleib hier, und laß uns dein Stück hören. Gibt es darin nicht auch eine Szene mit einer alten Frau und einem Linsentopf?«
    Ich verfluchte leise meine Mutter, mich jemals geboren zu haben, setzte mich auf eine Liege und schluckte den Becher mit dem starken Wein, den mir jemand gereicht hatte, in einem Zug hinunter. Dann zog ich umständlich die Rolle aus der Hülse (was war damals bloß in mich gefahren, diese dämlichen Bronzezylinder zu bestellen?) und rollte sie über den Knien auseinander. Natürlich schaute ich nicht drauf, da ich mein Stück bereits auswendig konnte, und Kleonymos erzählte mir später, daß ich sie vor Aufregung auf dem Kopf gehalten hätte.
    Die Anfangsszene kam sehr gut an, und besonders Kleon lachte über den alten Witz, der auf die Größe seiner Geschlechtsteile anspielte – was Politikerinstinkt gewesen sein muß, denn es war ein ganz und gar nicht komischer Witz, den ich nur eingefügt hatte, weil mittlerweile solch ein Scherz in der Anfangsszene einer Komödie gewissermaßen obligatorisch

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