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Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Titel: Wallner beginnt zu fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas von Steinaecker
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oder anderen Papieren, aus dem untersten Regal des Schranks. Wallner macht den Kasper („den Kasper machen“ = gebückt gehen plus sich den Bauch reiben plus „HungerHungerHunger“ sagen), um Ana zu zeigen, daß es ihm nichts oder besser: wenig ausmacht, die ehemalige Wohnung seines Vaters aufzulösen oder besser: daß er den Tod seines Vaters relativ gut verwindet.
    Es gilt, den Inhalt der Truhen, Schränke und des Schreibtischs mit voller Konzentration auf Schnelligkeit plus unter optimaler Ausnutzung des Platzes in den Kartons auszuräumen. Später, beim Auspacken, zu Hause, kann der Inhalt dann näher betrachtet werden.
    Wallner beugt sich vor und öffnet den Deckel der Truhe im Schlafzimmer. Er sieht seinen Vater, der sich vorbeugt und den Deckel der Truhe öffnet. Als er die Müllsäcke mit den Kleidungsstücken vor die Haustür trägt, ist es draußen, ohne daß Ana und er es gemerkt hätten, Nacht geworden.
    Das Hotel Schmidt liegt gegenüber der S-Bahn-Station. Die Jugendlichen auf den Bänken haben ihnen beim Parken und Aussteigen zugesehen. Wallner möchte lieber gleich etwas essen, bevor er auf das Zimmer geht und duscht, weil er Angst hat, daß er es dann nicht mehr aus dem Bett schafft, er spürt seine Arme und Beine. In der Gaststube steht ein Mann hinter dem Tresen – der Wirt? Herr Schmidt? –, der zuerst lächelnd Ana und dann, nicht mehr lächelnd, mit einem durchdringenden Blick Wallner begrüßt und auf einen Tisch weist, an dem lediglich ein älteres Ehepaar sitzt.
    Als der Wirt das Essen bringt, stellt er sich wie zu einer Rede mit angewinkelten Ellbogen und gefalteten Händen auf und wünscht „Einen Guten Appetit“. Noch einmal sieht er Wallner mit diesem Blick an, dann wieder Ana, lächelnd.
    Wallner steckt ein Kartoffelstück in den Mund, kaut, fragt, ob Ana denn eigentlich beim Grab gewesen sei, ob da alles glattgegangen sei, hört zu kauen auf und hält die Gabel über dem Teller, ohne sie zu senken oder zu heben. Ana sagt, sie sei dagewesen, dieser Mann am Friedhof, der wohl dafür zuständig sei, habe ihr den Eintrag von der Feuerbestattung und der Urnenbeisetzung gezeigt, am Grab hätten einige Kränze gelegen, einer wohl von der Kanzlei, in der Wallners Vater früher gearbeitet habe, sie habe den Betrag für die Instandhaltung des Grabs für die nächsten zwei Jahre von einem Teil der Entschädigung gezahlt, die sie von der Deutschen Bahn erhalten haben. Wallner kaut weiter, will sprechen, so etwas wie „Na schön“ oder „Na dann paßt ja alles“, kann aber nichts sagen, er bringt kein Wort heraus, damit Ana es nicht sieht, tut er so, als huste er in die Serviette.
    Als Wallner in das Zimmer tritt, fällt sein erster Blick auf Anas BH und ihren Schlüpfer, die auf dem Bett liegen, die zerwühlte Decke.
    08
    Wallner läßt die Akte aufgeschlagen auf dem Schreibtisch liegen, nimmt seinen Übergangsmantel von der Garderobe im Sekretariat, sagt zu Frau Beck, daß er noch etwas zu Hause vergessen habe und in einer Viertelstunde wieder zurück sei, eilt durch den Flur, das Treppenhaus hinaus. Es ist bewölkt. Auf dem Parkplatz kommt ihm Ana entgegen. Sie fragt, ob etwas passiert sei, warum er es denn so eilig habe. Sie hat dabei wieder diesen Ausdruck, der Wallner immer an eine Kuh erinnert. Mit der flachen Hand schlägt er ihr ins Gesicht. Wortlos ist sie nach hinten gekippt, noch mal, Ana kommt ihm entgegen, sagt etwas mit Kuh-Ausdruck, Wallner schlägt ihr mit der flachen Hand ins Gesicht, auf die Nase, aus der sofort Blut rinnt.
    Mit normalem Tempo, ohne sich zu hetzen, fährt er nach Hause, packt in seinen Koffer Kleidung für zehn Tage. Er schaut sich im Haus um, Geld? Hat er. Noch irgendwas? Er braucht ja nichts. Einen Regenschirm vielleicht. Den Wagen parkt er vor dem Bahnhof, in dem kaum etwas los ist. Wallner löst eine Fahrkarte nach Paris.
    „Einfach?“ fragt die Frau am Schalter.
    „Einfach“, sagt er.
    „Da müssen Sie in Nürnberg und München umsteigen“, sagt die Frau.
    „Weiß ich“, sagt Wallner.
    Keine fünf Minuten, und der Regionalexpreß nach Nürnberg fährt ein. Wallner setzt sich ans Fenster. Er sieht den Kirchturm von St. Jakob vorbeiziehen, den insolventen Axmann -Möbelmarkt mit den leeren Auslagen. Am Horizont ist der Gewerbepark von Chammünster zu erkennen, das Flachdach von Wallner & Wiget , das Fenster seines Büros, ganz oben, das zweite von links, in dem noch Licht brennt. Schon ist die Silhouette der Stadt vor dem dunkelgrünen

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