Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Dankbarkeit.
»Nun aber raffe dich auf, Vater,« flüstert Isaak aufs neue, »willst du die Peitsche des elenden Ägypters kosten? Mache nicht, daß der Sohn sehen muß, wie der Rücken des Vaters blutet. Oh! mir kocht der Zorn im Herzen, wenn ich dich mißhandelt sehe.«
»Laß mich hier liegen, bekümmere dich nicht um mich, mein Sohn,« erwidert ihm der Erschöpfte. »Verbeiße deinen Grimm zwischen den Lippen, dein Zorn kann mir nichts helfen, du erschwerst nur dadurch unser Elend. Mich werden sie bald zum Leichnam gepeitscht haben, aber dir, Isaak, wird die Pflicht, dich zu schonen. Was soll deine Schwester Rebekka beginnen ohne dich? Tue, was dir die Vögte sagen, widersprich ihnen nicht – gib mir die Hand darauf, Isaak, daß du geduldig die Beschimpfungen tragen, dich nicht widersetzen willst, bis sich der Herr dein Gott, gelobt sei er, vielleicht später über dich erbarmt.«
Unwillig reichte der Jüngling dem Vater die Hand. Trotz lagerte sich in seinen Zügen, als aber der Vater bittend zu ihm empor sah, versuchte er zu lächeln.
»Nun sind es vierzig Jahre, daß ich den Ägyptern die Steine zu ihren Bauten fahre,« murmelte der alte Jude. »Wann wird Jehova, gelobt sei er, das Leiden seinem Kinder enden und es genug sein lassen der Qual? O armes Volk der Ebräer! Deine Weiber gebären Sklaven, deine Männer erziehen gekrümmte Nacken. Dein Blut dient den stolzen Unterdrückern zum Mörtel, deine Kraft baut ihnen unsterbliche Monumente, Aussatz und Verdummung erniedrigen dich, dein Stamm ist ein Rudel Hunde geworden. Wie waren wir angesehen, als Abraham einzog in dies Land und der Vater Josephs seine Herde weidete im Lande Gosen! Gott unserer Väter, hast du keine Helden mehr, die dein Volk erlösen?«
Bis hierher hatte der Alte vor sich hin gesprochen, als das Signal zum Weiterziehen des Kolosses ertönte. Die Aufseher riefen, ihre Peitsche klatschen lassend. Die Volksmasse erhob sich von den Stufen, um nach dem Seile zu greifen. Da bemerkte einer der Aufseher, ein nackter, wildaussehender Ägypter, wie der alte Jude das Seil, an welchem er zu ziehen hatte, kraftlos sinken ließ, der Sohn jedoch das entfallende hastig verstohlen aufhob, um zu seiner Last noch die des müden Vaters zu fügen. Rasch sprang Set der Aufseher hinzu. Ergrimmt packte er den Alten an der Gurgel und schrie ihm zu, augenblicklich selbst zu ziehen.
»Herr, habt Erbarmen,« wimmerte der Hilflose, »ihr mutet alten Knochen zu, was kaum junge vermögen. Ich kann nicht weiter ziehen, meinen schwachen Händen entsinkt das Seil.«
»Das werden wir sehen,« höhnte der Ägypter, den zu Boden Gesunkenen aufreißend, »und du ziehst, alte Mumie, so lange als dein Odem es aushält, in deinem elenden, aussätzigen Leib. Nimm das Seil zur Hand.«
Nochmals versuchte der Greis das Seil festzuhalten, vergebens, es glitt zu Boden. Zähnefletschend schwang der Aufseher die Peitsche, denn schon begann der Koloß sich unter der Anstrengung von tausend Armen zu bewegen. Aber noch ehe der Riemen der Geißel niedersauste, sprang Isaak zwischen den Vater und den Aufseher, so daß er mit seinem Rücken die dem Hingesunkenen geltenden Hiebe auffing.
»Willst du dich widersetzen, elendes Judengesicht,« rief nun der Wütende, dem bleichen, zitternden Isaak entgegen. Schon hatte er den jungen Ebräer am Arm ergriffen, um in grausamer Lust seine Rache an ihm zu befriedigen, als ihm ein lautes, vom Streitwagen des Königs hertönendes Rufen den Arm sinken machte. Auch Isaak wandte sich um. Dieses Rufen hatte seinen Grund, denn die Statue stand zum Schrecken aller schief auf ihrem Wege. Es war ungleichmäßig gezogen worden, und nun kam es darauf an, den Fehler vorsichtig wieder zu verbessern. Der Oberaufseher auf den Knien des Steinbildes rief und winkte, der König und sein Gefolge kamen in die heftigste Erregung. Die Aufseher gaben den Arbeitern die Schuld an dem Versehen, die Arbeiter den Aufsehern. Ein allgemeines Zanken begann, die Peitsche knallte allerorten, so daß für Augenblicke das Werk unterbrochen wurde. Endlich befahl der König Ruhe, man solle versuchen, das Bild auf den richtigen Weg zurückzuziehen. Mit großer Vorsicht begann nun die eine Hälfte der Männer unter der Anleitung ihrer Beamten den Koloß zu drehen. Kaum bemerkbar wendete er sich auf seinem Platze nach der richtigen Seite hin, mit atemloser Spannung folgten alle dem gefahrvollen Experimente. Plötzlich geschah ein Ruck, die Drehung geriet ins Stocken. Der Oberaufseher
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