Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
erinnerte; Luisens Gesicht drückte deutsche Gemütstiefe aus; eine sanfte, beinahe krankhafte Schwärmerei flehte aus diesen sinnenden Augen den Beschauer um Nachsicht an. Der staatlich geprüfte Erzieher behielt indes seine Beobachtungen und Gefühle, die jene Bilder in ihm erweckten, bei sich. Er legt die Photographie stillschweigend auf seinen Schreibpult, was soviel sagen wollte, als: sie ist einstweilen konfisziert.
»Da hat mir,« sagte er, »mein verehrter Kollege, dein Lehrer, Dr. Simmer, den neuesten Roman dieser Emma Dorn gebracht . . . wie heißt er gleich?« er suchte unter den auf dem Pult liegenden Papieren.
»Finstre Dämonen,« half Karl seinem Gedächtnis nach.
»Ja,« fuhr Körn fort, »Finstre Dämonen. Das soll ein höchst unmoralisches Buch sein. Mit einem Weib, das solche Bücher schreibt, verkehrst du nicht.«
»Hast du denn das Buch gelesen?« erlaubte sich Karl zu fragen und erhielt zur Antwort: »Noch nicht.«
»Du wirsts aber lesen?«
»Man wird es lesen und davon wird meine weitere Entscheidung abhängen. Dr. Simmer war entrüstet.«
»Ach,« fuhr Karl auf, »der ist über alles gleich entrüstet, was nicht in seinen Kram paßt.«
»Von deinem Lehrer sprichst du nicht per: › der ‹!« tadelte der Direktor. »Indes, drücke dich auch sonst gewählter aus; ›Kram paßt‹! das ist kein Ausdruck. Das beiläufig. Kurz, wie dem nun auch sei, – man spricht in unsrer Vorstadt von den seltsamen Manieren der Dame. Ich weiß ja, daß du heimlich schriftstellerst, – du hast ja bereits in der Zeitschrift »Freiland« allerlei veröffentlicht, was mir gar nicht übel gefallen hat. Ich lege dir, so lange du deine Arbeiten in der Klasse zur Zufriedenheit deiner Lehrer ablieferst, nichts in den Weg. Meinetwegen mach Verse. Aber der Umgang mit dieser Dame . . .« Er wollte weiterreden, als das Dienstmädchen auf einem versilberten Teller die Morgenpost brachte. Es war auch ein Brief für Karl dabei, den der Direktor schweigend seinem Sohn überreichte. Der Sohn wollte sich auf sein Zimmer begeben.
»Lies ihn hier,« herrschte der Vater.
»Hier?«
»Ja. Lies ihn mir vor.«
»Verzeih, Papa, das . . .«
»Ich wills! Ich habe das Recht als dein Erzieher, zu wissen, mit wem du Briefe wechselst.«
»Du hast noch nie verlangt, daß ich dir Briefe vorlege.«
»So verlange ichs jetzt.«
»Ich bin aber doch alt genug . . .«
»Du bist noch nicht 21 Jahre. Also – bitte – lies!«
Karl erbrach hastig den Brief, las und entfärbte sich. Seinem Vater war das Zittern nicht entgangen, das den Körper seines Sohnes überschauerte. Mistrauisch beobachtete er über den Rand der Zeitung hinwegblickend, das Gebahren seines Kindes.
»Was hast du?« fragte er.
»Nichts . . .«
»Ich merke doch, daß du bleich wirst und zitterst.«
Karl sah verstört durchs Fenster auf den S . . . platz hinunter.
»Nun,« mahnte der Direktor ironisch, »ich darf mich doch, – besonders, wenn sie einen solchen Eindruck hervorruft! – nach der Korrespondenz meines Filius erkundigen?«
»Ach, eine litterarische Streitsache!« lehnte dieser, mit sich kämpfend, ab und wollte gehen.
»Du bleibst! ich will Genaueres wissen . . .«
»Ich – ich,« stammelte Karl betreten, »hab für das Blatt »Die litterarische Wacht« Kritiken geschrieben.«
»Das weiß man.«
»Nun, da hab ich die Gedichte eines hiesigen Schriftstellers – Alfred Märzler – etwas stark vermöbelt.«
»Drücke dich doch gewählter aus! Vermöbelt? was ist das für ein Ausdruck?«
»Der Kraftausdruck für herunterreißen.«
»Du hast also die Gedichte scharf kritisiert?«
»Ja, unter dem Pseudonym Paolo Reddi.«
»Hattest du ein Recht hierzu?«
»Die Gedichte dieses Märzler sind miserabel.«
»Nun? und? was schreibt man dir?«
Karl bekam einen hochroten Kopf.
»Laß mich sehen!« befahl der Vater.
Karl zögerte.
»Er . . . der Märzler hat sich an die Redaktion der »Litterarischen Wacht« gewendet und will wissen, wer unter diesem Paolo Reddi verborgen ist.«
»Weshalb?«
»Er . . .« stammelte Karl. Dann rief er ganz laut: »Er will mich verklagen.«
Der Direktor schnellte vom Sitz empor.
»Dich . . . ver . . . klagen?«
Dann riß er dem Sohn die Papiere aus der Hand. Der Redakteur teilte dem jungen Kritiker mit, er glaube kaum, daß dem erzürnten Dichter seine richtige Adresse dauernd verborgen werden könne. Der Brief Märzlers lag bei. Darin hieß es:
Die Kritik meiner Herbstblätter ist in einem derartig
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