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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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werden, . . . ob ichs vermeiden kann, mich pensionieren zu lassen . . .«
    »Das wäre das Vernünftigste«, murmelte Karl.
    Das Vernünftigste?! Wenn er, der große Pädagog, den selbst der Minister ehrte, sein Amt aufgab?! Der Direktor setzte sich im Sessel empor. »Wie lautete das?« zischte er empört durch die Zähne.
    In Karl arbeitete es; sein Reuegefühl war völlig geschwunden und hatte dem Haß wieder Platz gemacht. »Hier steht ein Probestück deiner Erziehungskunst! bist du stolz darauf? Schuldig bin ich, maßlos schuldig! Aber bin ichs allein?«
    »Hast du, als Kind, mir meine Schuld vorzuhalten?«
    »Aber ich darf doch Gerechtigkeit verlangen!«
    »Gerechtigkeit? Verblendeter! Gerechtigkeit verlangt man? wo man die Hand gelegt hat an seinen Vater?!«
    »Ja, aber warum hat man das getan?«
    »Seis hierum oder darum! Für so etwas gibts keine Entschuldigung. Wer die Hand aufhebt gegen seinen Vater, auf dem ruht des Himmels gerechter Fluch!«
    »Ach so? des Himmels? an den du selbst nicht mehr glaubst.«
    »Was erlaubt sich der Mensch?!«
    ,.Oder doch? War das auch im Einklang mit dem Himmel . . . in jener Nacht . . .? Man hatte wohl Dispens aus Rom?«
    Da richtete sich der Vater, bleich, mit rollenden Augen, in voller Höhe im Sessel empor; sein Schuldbewußtsein vergrößerte nur seine Wut; fast war ihm, als könne er durch erkünstelte Entrüstung die Schuld vertilgen.
    »Elender!« schrie der kranke Mann und hob die matte Hand wie zum Fluch. »Mir aus den Augen, Verfluchter!« Und mitten in seiner halb unechten Wut empfand der verwöhnte Freund der Griechen mit Beschämung die Banalität seines Kulissengeschreis. Aber er konnte es nicht ändern. Doch fuhr er nochmals mit beiden Händen in die Luft: »Dein Ende mit Schrecken ist nah!«
    Und ein Schrecken fuhr in der Tat dem Jüngling ins Gebein, als er so den erschöpften Vater in der Haltung eines Gekreuzigten vor sich sah. Schon wieder das?! Sein Traum von neulich fiel ihm wieder ein!
    »Das kann schon sein!« stammelte er zitternd mit gebrochener Stimme. Dann schrie er wieder im Trotz: »Und du? du hast zum Ende den Anfang gemacht! Warum? Warum?!« Und schleunigst stürzte er aus dem Zimmer ins Freie.
    Er hatte noch gesehen, wie der Vater zurücksank, hörte das Stöhnen des Beleidigten noch hinter der Tür. Ein kalter Schauer durchrieselte ihn, ein heftiger Krampf umkrallte ihm schmerzhaft die Kinnbacken und schnürte ihm die Kehle zu.
    Das also war der Erfolg seiner guten Absichten! Wer führt mich denn durch dieses Leben? fragte er sich entsetzt. Ein Gott? oder – ein Teufel? Ich dachte es so gut zu machen! Wer hat es böse gemacht? Ich liebe ihn doch, trotz alledem! und er nicht auch mich? Warum nur kann ich mit dem Mann nicht ruhig verhandeln? Warum, selbst wenn ich die kindlichsten Vorsätze hege, mengt stets die Leidenschaft, der innere Widerspruch sich ein?
    Unter solchem Hadern mit seinem Geschick hatte sein hastiger Gang ihn hinausgeführt in den Nymphenburger Park. Wie kläglich ihn die frierenden nackten Statuen anblickten, so mitleiderregend. Auf der kalten Schwärze des Kanalwassers spiegelte sich ein weißer Schwan; überall keine Farben mehr in der Natur; graue, trübe Ode. Müde an Leib und Geist sank er auf eine Bank. Von den nahen schon tief beschneiten weißen Alpen her blies ein eisiger Wind und zauste ihm Haar und Röckchen.
    Und vorgebeugt, halb liegend auf der Bank, schrieb er zitternd vor innerer Glut und äußerem Frost in sein Taschenbuch die folgenden Verse, mit denen er gleichsam einen Strich unter sein bisheriges Leben machte, unter die öde trübe Jugendzeit im Vaterhaus.
    Du alte Erde, kannst du es noch tragen,
Das ungemessne alte Menschenweh?
Brichst du noch nicht, vom eignen Gram und Ekel
Verzehrt, in dich zusammen? Denn sieh an,
Wie schmachbeladen, blutbesudelt, traurig,
Dein Kleid (gewoben aus den morschen Leibern
Vergangner Völker) deine Schultern schmückt.
Du alte Mutter, die an eignen Kindern
Den Hunger stillt, wie kannst den reinen Blick
Der Sonne und des Mondes du ertragen,
Die strafend auf dein überschminktes Antlitz
Herunterschauen? Stirbst du nicht vor Scham?
Bist du so sehr vom Laster schon durchfressen,
Daß du dich schmückst mit deinen Eiterbeulen,
Als wie mit Ordenssternen? Oder hoffst
Du noch auf Heilung deiner bösen Krankheit?
Des Himmels Regen wäscht dich nicht mehr rein!
Denn deine Gräber füllt er nimmer aus,
Die dich durchlöchern, wie Geschwür und Beulen;
Die blut'gen

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