Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)
weit.
»Komm, Kerbil«, sagt er. »Vielleicht sehen wir Henriette nachher auf einem Karussell.«
»Aber«, beginnt die Frau und erbleicht. Vermutlich hat schon lange kein Mann sie einfach so stehen gelassen, oder sie hat wirklich einen lukrativen Auftrag, den Walpar genaugenommen gut gebrauchen könnte.
»Henriette ist ein total doofer Name«, sagt Kerbil und trottet mit Walpar Richtung Kursfeuerwerk.
Die beiden drehen sich nicht um, als der Dino unanständig und lautstark rülpst.
Das Kursfeuerwerk ist eine mittelgroße Halle, in der unglaublich viele bunt leuchtende und blinkende Knöpfe auf unüberschaubar vielen Konsolen angebracht sind. Das Tolle ist, dass man jeden dieser Knöpfe drücken kann. Und immer passiert irgendetwas: Manchmal geht irgendwo ein Licht an, ein fröhliches Summen ertönt, oder einer der an die Deckenkuppel projizierten Aktienkurse bricht kräftig nach oben oder unten aus.
Kerbil hat innerhalb von Sekunden zig Knöpfe gedrückt und seine leuchtenden Augen huschen umher wie Wachteleier in der Mikrowelle. Walpar hält seinen Neffen sanft davon ab, einen anderen Jungen von einem besonders schnell blinkenden Knopf wegzustoßen, den er unbedingt selbst drücken will.
»Schau mal, Kerbil«, sagt Walpar und dreht den Kopf seines Neffen mit beiden Händen in die richtige Richtung. »Siehst du die hellblaue Zackenlinie da oben?« Kerbil nickt heftig.
»Das«, erklärt Walpar, »ist der Aktienkurs von GreenMarsTV, meinem alten Fernsehsender. Ich besitze noch einige Papiere von dem Laden. Versuch bitte, die Linie so weit wie möglich nach oben zu schießen, ja?«
»Kein Problem!«, ruft Kerbil und hält Ausschau nach dem zugehörigen Knopf. Da keiner beschriftet ist und alle ständig die Farben und Funktion wechseln, gibt es keinen Hinweis, welcher der richtige ist.
»Viel Spaß«, sagt Walpar. »Ich gehe mal kurz vor die Tür und telefoniere mit Tante Nera, in Ordnung?«
»Sag ihr, sie hat doofe Ohren«, kichert Kerbil, dann widmet er sich den bunten Knöpfen.
Kopfschüttelnd geht Walpar zur Tür. »Das sag ich ihr lieber nicht«, murmelt er zu sich selbst. Dann steht er draußen und hält sich den Pinguin ans Ohr. »Nera anrufen!«, befiehlt er.
Nera ist die Mutter von Walpars Exfreund Tilko. Der Detektiv nennt sie immer noch Schwiegermutter, obwohl er nie mit Tilko verheiratet war und sie ihm nie Socken oder Krawatten zu Weihnachten geschenkt hat, sondern meistens Haarbänder und Zopfklammern. Walpar trägt die Haare silbergrau gengefärbt und mit schlappem Pferdeschwanz, seit die Styling-KI des Senders das bestmögliche Outfit eines schwulen Weltraumdetektivs mit halbem Ohr berechnet hat. Der Rest des Ohrs fehlt Walpar, weil er in seiner Jugend in einer Band spielte und ein gewisser Thor es ihm im Eifer des Gefechts mit dem E-Didgeridoo abriss.
Nera ist der Meinung, dass die Trennung von Tilko und Walpar nichts anderes als ein bedauerliches Missverständnis ist, das sich leicht aus der Welt schaffen lässt, wenn man nur will. Walpar hat den Verdacht, dass sie ihn mag, weil sie gerne eine Tochter gehabt hätte. Solange sie nicht versucht, mit ihm Klamotten einkaufen zu gehen, kommt Walpar gut damit klar. Die familiäre Beziehung erleichtert auch die Sache mit Kerbil. Um den kümmern sich Walpar und Nera abwechselnd, während seine Eltern (Walpars Schwester Aether und ihr Mann Aigo) eine mehrmonatige Kreuzfahrt auf dem Jupitermond Europa unternehmen. Für die haben sie ihr ganzes Leben gespart. Bloß das Ticket für Kerbil war nicht eingeplant, genauso wenig wie der Junge selbst.
Walpar ist dankbar, dass Nera sich um Kerbil kümmert, während er seiner Arbeit nachgeht. Bisher scheint sie auch noch nicht zu versuchen, Kerbil zu ihrer Tochter zu erziehen, also gibt es keinen Grund zur Klage. Aber jetzt könnte sie allmählich mal ans Telefon gehen.
»Walpar«, ertönt Neras Stimme endlich aus dem Schnabel des Pinguins, »ich warte die ganze Zeit auf deinen Rückruf!«
Der Vorwurf kitzelt Walpar im Ohr und er wechselt den Pinguin in die linke Hand. »Sag mal«, fragt er, »hast du ein Abo für den überlichtschnellen Tarif?«
»Du bist auf dem Mars und ich auf der Erde. Musst du ein paar Minuten auf jede meiner Antworten warten?«
»Nein.«
»Weil ich keine Lust dazu habe und den überlichtschnellen Tarif bevorzuge«, erklärt Nera, als hätte sie gerade einen Wettbewerb für Schlagfertigkeit gewonnen.
»Ist der nicht verdammt teuer?«
»Überhaupt nicht«, behauptet Nera, »wenn man so wie ich einen
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