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Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Titel: Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Raumes war nur vorne, wo der Flugzeugführer saß, ein etwas helleres Dunkel, und dieser lichte Schein beleuchtete gespenstisch die schweigsamen und düsteren Gestalten, die links und rechts und rundherum auf ihren Tornistern hockten.
    Plötzlich aber raste ein seltsames Geräusch den Himmel entlang, so wirklich und bekannt, daß ich erschrak: es war, als fahre die Hand eines großen, riesengroßen Mathematiklehrers mit einem Felsenstück von Kreide weit ausholend über die unendliche Fläche des dunklen Himmels, und das Geräusch war dem bekannten, vor zwei Monaten noch gehörten ganz gleich. Es war dieses hüpfende Knattern wie von zorniger Kreide.
    Bogen um Bogen zeichnete die wilde Riesenhand an den Himmel, aber nun war es nicht mehr nur Weiß und Dunkelgrau, sondern Rot auf Blau und Violett auf Schwarz, und die zuckenden Linien erloschen, ohne ihren Bogen zu vollenden, knatterten, kreischten auf und erstarben.
    Mich quälte nicht das ängstliche und wilde Stöhnen der Schicksalsgenossen, nicht das hilflose Schreien des Leutnants, der Ruhe und Stillhalten gebot, auch nicht das qualvoll verzerrte Gesicht des Flugzeugführers. Mich quälten nur diese ewig unvollendeten Kreise, die aufflammten über dem Himmel, hastig und haßvoll wütend, und niemals, niemals zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrten, diese stümperisch gezogenen Kreisbogen, die niemals sich rundeten zur vollendeten Schönheit des Kreises. Sie quälten mich im Verein mit der knatternden, kreischenden, hüpfenden Wut der Riesenhand, von der ich fürchtete, beim Schöpf genommen und blutig geknufft zu werden.
    Und dann erschrak ich heftig: zum ersten Male offenbarte sich mir diese schleudernde Wut wirklich als Geräusch; nahe an meinem Schädel hörte ich ein seltsames Zischen wie von einer zornig niederfahrenden Hand, spürte einen feuchten heißen Schmerz, sprang auf mit einem Schrei und griff an den Himmel, wo eben wieder ein giftiggelbes rasendes Zucken aufflammte; ich hielt diese heftig
    ausschlagende gelbe Schlange fest, ließ sie mit der Rechten rundjagen ihren zornigen Kreis, spürend, daß es mir gelingen müsse, den Kreis zu vollenden, denn einzig dieses war die mir innewohnende Fähigkeit, zu der ich geboren war … und ich hielt sie, führte sie, die wildausschlagende, rasende, zuckende knatternde Schlange, hielt sie fest mit heißem Atem und schmerzlich zuckendem Mund, während das feuchte Weh an meinem Schädel zu wachsen schien, und als ich Punkt zu Punkt geführt und den wunderbaren runden Bogen des Kreises mit Stolz betrachtete, füllte sich der Raum zwischen den Strichpunktlinien, und ein ungeheurer zischender Kurzschluß erfüllte den ganzen Kreis mit Licht und Feuer, bis der ganze Himmel brannte und die Welt von der jähen Wucht des stürzenden Flugzeuges entzweigeschnitten wurde. Ich sah nichts mehr außer Licht und Feuer, den verstümmelten Schwanz der Maschine, einen zerfressenen Schwanz wie ein schwarzer Stummelbesen, auf dem eine Hexe zu ihrem Sabbat reiten mochte …
    Mein teures Bein

    Sie haben mir jetzt eine Chance gegeben. Sie haben mir eine Karte geschrieben, ich soll zum Amt kommen, und ich bin zum Amt gegangen. Auf dem Amt waren sie sehr nett. Sie nahmen meine Karteikarte und sagten: »Hm.« Ich sagte auch: »Hm.« »Welches Bein?« fragte der Beamte.
    »Rechts.«
    »Ganz?«
    »Ganz.«
    »Hm«, machte er wieder. Dann durchsuchte er verschiedene Zettel. Ich durfte mich setzen.
    Endlich fand der Mann einen Zettel, der ihm der richtige zu sein schien. Er sagte: »Ich denke, hier ist etwas für Sie. Eine nette Sache. Sie können dabei sitzen. Schuhputzer in einer Bedürfnisanstalt auf dem Platz der Republik. Wie wäre das?«
    »Ich kann nicht Schuhe putzen; ich bin immer schon aufgefallen wegen schlechten Schuhputzens.«
    »Das können Sie lernen«, sagte er. »Man kann alles lernen. Ein
    Deutscher kann alles. Sie können, wenn Sie wollen, einen kostenlosen Kursus mitmachen.«
    »Hm«, machte ich.
    »Also gut?«
    »Nein«, sagte ich, »ich will nicht. Ich will eine höhere Rente haben.«
    »Sie sind verrückt«, erwiderte er sehr freundlich und milde.
    »Ich bin nicht verrückt, kein Mensch kann mir mein Bein ersetzen, ich darf nicht einmal mehr Zigaretten verkaufen, sie machen jetzt schon Schwierigkeiten.«
    Der Mann lehnte sich weit in seinen Stuhl zurück und schöpfte eine Menge Atem. »Mein lieber Freund«, legte er los, »Ihr Bein ist ein verflucht teures Bein. Ich sehe, daß Sie neunundzwanzig Jahre sind, von Herzen

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