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Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Titel: Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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gesund, überhaupt vollkommen gesund, bis auf das Bein. Sie werden siebzig Jahre alt. Rechnen Sie sich bitte aus, monatlich siebzig Mark, zwölfmal im Jahr, also einundvierzig mal zwölf mal siebzig. Rechnen Sie das bitte aus, ohne die Zinsen, und denken Sie doch nicht, daß Ihr Bein das einzige Bein ist. Sie sind auch nicht der
    einzige, der wahrscheinlich lange leben wird. Und dann Rente erhöhen! Entschuldigen Sie, aber Sie sind verrückt.«
    »Mein Herr« sagte ich, lehnte mich nun gleichfalls zurück und schöpfte eine Menge Atem, »ich denke, daß Sie mein Bein stark unterschätzen. Mein Bein ist viel teurer, es ist ein sehr teures Bein. Ich bin nämlich nicht nur von Herzen, sondern leider auch im Kopf vollkommen gesund. Passen Sie mal auf.«
    »Meine Zeit ist sehr kurz.«
    »Passen Sie auf!« sägte ich. »Mein Bein hat nämlich einer Menge
    von Leuten das Leben gerettet, die heute eine nette Rente beziehen.
    Die Sache war damals so: Ich lag ganz allein irgendwo vorne und sollte aufpassen, wann sie kämen, damit die anderen zur richtigen Zeit stiftengehen konnten. Die Stäbe hinten waren am Packen und wollten nicht zu früh, aber auch nicht zu spät stiftengehen. Erst waren wir zwei, aber den haben sie totgeschossen, der kostet nichts mehr. Er war zwar verheiratet, aber seine Frau ist gesund und kann arbeiten, Sie brauchen keine Angst zu haben. Der war also furchtbar billig. Er war erst vier Wochen Soldat und hat nichts gekostet als eine Postkarte und ein bißchen Kommißbrot. Das war einmal ein braver Soldat, der hat sich wenigstens richtig totschießen lassen. Nun lag ich aber da allein und hatte Angst, und es war kalt, und ich wollte auch stiftengehen, ja, ich wollte gerade stiftengehen, da …«
    »Meine Zeit ist sehr kurz«, sagte der Mann und fing an, nach seinem Bleistift zu suchen.
    »Nein, hören Sie zu«, sagte ich, »jetzt wird es erst interessant. Gerade als ich stiftengehen wollte, kam die Sache mit dem Bein. Und weil ich ja doch liegenbleiben mußte, dachte ich, jetzt kannst du's auch durchgeben, und ich hab's durchgegeben, und sie hauten alle ab, schön der Reihe nach, erst die Division, dann das Regiment, dann das Bataillon, und so weiter, immer hübsch der Reihe nach. Eine dumme Geschichte, sie vergaßen nämlich, mich mitzunehmen, verstehen Sie! Sie hatten's so eilig. Wirklich eine dumme Geschichte, denn hätte ich das Bein nicht verloren, wären sie alle tot, der General, der Oberst, der Major, immer schön der Reihe nach, und Sie brauchten ihnen keine Rente zu zahlen. Nun rechnen Sie mal aus, was mein Bein kostet. Der General ist zweiundfünfzig, der Oberst achtundvierzig und der Major fünfzig, alle kerngesund, von Herzen und im Kopf, und sie werden bei ihrer militärischen Lebensweise mindestens achtzig, wie Hindenburg.
    Bitte rechnen Sie jetzt aus: einhundertsechzig mal zwölf mal dreißig, sagen wir ruhig durchschnittlich dreißig, nicht wahr? Mein Bein ist ein wahnsinnig teures Bein geworden, eines der teuersten Beine, die ich mir denken kann, verstehen Sie?«
    »Sie sind doch verrückt«, sagte der Mann.
    »Nein«, erwiderte ich, »ich bin nicht verrückt. Leider bin ich von Herzen ebenso gesund wie im Kopf, und es ist schade, daß ich nicht auch zwei Minuten, bevor das mit dem Bein kam, totgeschossen wurde. Wir hätten viel Geld gespart.«
    »Nehmen Sie die Stelle an?« fragte der Mann.
    »Nein«, sagte ich und ging.
    Lohengrins Tod

    Die Treppe hinauf trugen sie die Bahre etwas langsamer. Die beiden Träger waren ärgerlich, sie hatten vor einer Stunde schon ihren Dienst angefangen und noch keine Zigarette Trinkgeld gemacht, und der eine von ihnen war der Fahrer des Wagens, und Fahrer brauchen eigentlich nicht zu tragen. Aber vom Krankenhaus hatten sie keinen zum Helfen heruntergeschickt, und sie konnten den Jungen doch nicht im Wagen liegen lassen; es war noch eine eilige Lungenentzündung abzuholen und ein Selbstmörder, der in den letzten Minuten abgeschnitten worden war. Sie waren ärgerlich, und plötzlich trugen sie die Bahre wieder weniger langsam. Der Flur war nur schwach beleuchtet, und es roch natürlich nach Krankenhaus.
    »Warum sie ihn nur abgeschnitten haben?« murmelte der eine, und er meinte den Selbstmörder, es war der hintere Träger, und der vordere brummte zurück: »Hast recht, wozu eigentlich?« Da er sich dabei umgewandt hatte, stieß er hart gegen die Türfüllung, und der, der auf der Bahre lag, erwachte und stieß schrille, schreckliche Schreie aus; es

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