Wandernde Welten
Brand.
Sein Haar hing ihm über beide Schultern. Die beiden Mädchen blickten ihn schweigend an. In der Jugend sahen sie einander alle ahnlich, stellte Paula wieder einmal fest. Saba ging durch das hohe Gras und schnallte seinen Gürtel um. Paula mußte traben, um ihn einzuholen.
»Onkel Saba!« rief Junna hinter ihm her. »Kommst du dann zurück und holst uns ab?«
»Ihr könnt laufen«, sagte er, ohne stehenzubleiben.
»He!«
Saba lachte. Paula steckte ihre Hände in die Jackentaschen. Sie hätte gerne gewußt, wo Tanoujin steckte. Eine Eisenleiter führte an einer Hausecke zum Dach, und sie ging darauf zu.
»Geht es dir wieder besser?« fragte sie, als sie vor ihm die Sprossen hinaufstieg.
»Es könnte gar nicht besser sein.«
Das gelbe Air-Car war in der Mitte des Daches geparkt. Die Tür war abgeschlossen. Er mußte ein paarmal probieren, bis er den richtigen Schlüssel fand. Er war blendender Laune. Wahrscheinlich hatte er eine Menge Pot geraucht.
»Wo ist Tanoujin?«
»Er ist mit einem anderen Wagen weggeflogen.«
Das war eine Lüge, und noch dazu eine schlechte. Die beiden Wagen, die ihnen zur Verfügung standen, waren hier auf dem Dach geparkt. Saba zog die Tür auf, und Paula rutschte auf die andere Seite der Sitzbank. Saba setzte sich neben sie auf den Mittelsitz.
»Du hast mir nie erzählt, daß dein Vater Selbstmord begangen hat.«
»Nein.«
»Wie hat er sich umgebracht?«
Sie lehnte sich zurück, bog den Kopf in den Nacken und blickte aus dem durchsichtigen Dach zum Sternenhimmel hinauf. Er startete den Motor. Das Air-Car erhob sich in die Luft
»Ist dir kalt?« fragte er.
»Ich bin hungrig.«
»Warum hat dein Vater sich umgebracht?«
»Mein Gott! Er hat mir einen Brief hinterlassen. Ich habe ihn jahrelang aufgehoben, aber schließlich habe ich ihn verbrannt. Er schrieb, daß er Angst davor habe, verrückt zu werden. Er hatte Angst, hilflos zu sein, verstehst du. Er hat den Dom verlassen, und die Luftverschmutzung hat ihn getötet. Ich wünschte, Tanoujin hätte dir nichts davon gesagt.«
»Wie alt warst du damals?«
»In Junnas Alter.«
Das Air-Car schwebte langsam über die Baumkronen. Sie richtete sich auf und überlegte sich, was sie essen sollte. Das half ihr, Ihren Vater und seine Flucht in den Tod zu vergessen. Saba landete den Wagen vor dem Haus. Die Küche war dunkel, aber es roch verlockend nach Schweinebraten.
»Hol mir etwas zu essen.« Er setzte sich an den Küchentisch und legte die Füße auf den anderen Stuhl. »Es muß damals schwer für dich gewesen sein, nachdem dein Vater auf diese scheußliche Weise...«
Sie öffnete den Kühlschrank und holte eine Schale mit Äpfeln und Käse heraus. »Sei nicht sarkastisch.«
»Das war lediglich eine Feststellung.«
Sie stellte die Schale in die Tischmitte. Er mußte sich vorbeu-gen, um sich einen Apfel zu nehmen und hob dabei die Füße von dem anderen Stuhl. Paula setzte sich. Es war zu dunkel in der Küche, um sein Gesicht genauer sehen zu können. Er sagte: »Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht. Er war sicher ein intelligenter Mann, dein Vater. Aber seine Intelligenz hat ihn nicht retten können. Das ist es, was ihn verrückt gemacht hat.«
»Er war nicht wirklich verrückt.«
Er trank einen Schluck Milch. Das Domlicht warf das verzerrte Lichtrechteck des Fensters auf den Boden.
»Es gibt nur eins im Leben, das wirklich wichtig ist: Tu, was immer von dir verlangt wird, und tu es so gut du kannst. Das bringt Ehre, die perfekte Persönlichkeit, das ideale Leben. Aber Anarchisten haben ja kein Ehrgefühl. Und deshalb bringen sie sich selbst um.«
Sie aß ein Stück Käse.
»Dein Vater ist ermordet worden.«
Die Tür knarrte, und Leno trat in die Küche. Er und Saba sprachen leise miteinander. Paula schenkte sich Milch nach. Jeder, der auch nur einen Funken Intelligenz besitzt, hat hin und wieder Angst, verrückt zu werden. Leno nahm sich ein Brot und ein Stück Käse und ging in den Hof hinaus.
»Dein Vater hat dich im Stich gelassen«, sagte Saba, als sie Wieder allein waren.
»Das hat er nicht getan.«
»Vielleicht siehst du das anders, aber eben deshalb will ich es dir erklären. Diese Leute hier können so leben, ohne Kriege, ohne Regierungen, weil sie die wichtigsten Dinge des Lebens aufgegeben haben. Es gibt Schulden, die Menschen beieinander haben, Schulden, die allein aus der Tatsache ihres Daseins entstehen.
Das ist nur menschlich. Die Anarchisten erkennen diese Schuld nicht an. Deshalb sind
Weitere Kostenlose Bücher