Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Fleisch dieser Kuh ein Suppenstück in ihre Küche bekam und sofort den widerlichen und gesundheitsgefährlichen Zustand erkannte. Der Fleischer wurde zitiert und mit Klage bedroht, was diesen endlich bestimmte, mit der Sprache herauszurücken und das empörte Fräulein wissen zu lassen, daß eine andere Konventualin ihm diese Kuh verkauft habe. Mathilde von Rohr war sprachlos und als sie sich schließlich erholt hatte, stand ihr fest, daß hier ein Exempel statuiert werden müsse. Die Domina, ganz auf ihrer Seite, berief eine Generalsitzung und hier, in großer Versammlung, erhob sich nun unser altes Fräulein, um mit siegender Beredsamkeit von Adel und christlicher Frömmigkeit zu sprechen, mit denen es freilich schlecht stehe, wenn dergleichen Ekelhaftes vorkäme, was noch dazu nicht besser sei als Vergiftung. Die Wirkung ging über alles Erwarten hinaus. In ihren Alltagsempfindungen waren all die alten Damen immer gegen »die Preußin« gewesen, aber das verletzte Rechtsgefühl war in diesem Augenblicke doch so mächtig, daß ein Umschlag zugunsten des Fräuleins eintrat, auch bei ihren ausgesprochensten Feinden. Von Liebe konnte freilich nach wie vor keine Rede sein, aber ein voller Respekt war gewonnen. Auch der Klosterhauptmann, dem trotz seiner Preußenabneigung das Herz auf dem rechten Flecke saß, war bekehrt.
Bald nach diesem Vorfalle war es, daß ich meinen ersten Besuch in Dobbertin machte. Kein poetischerer Aufenthalt denkbar! Das Zimmer, darin wir das Frühstück und abends den Tee zu nehmen pflegten, hatte noch ganz den Klostercharakter, denn aus seiner Mitte stieg ein schlanker, oben palmenfächriger Pfeiler auf; halb verdeckt davon aber stand ein Schaukelstuhl, von dem aus ich, wenn ich mich im Pfeilerschatten hin und her wiegte, mal links mal rechts das Kohlenfeuer sah, das in dem altmodischen Kamin still verglühte. Denn ein Feuer war immer da und auch nötig, trotzdem wir mitten im Sommer waren. Um die Fenster rankte sich Blattwerk mit großen gelben Tulpenblumen dazwischen, die bis aufs Dach hinaufwuchsen und dies auf seiner Unterhälfte fast überdeckten. Um all die Baulichkeiten herum lagen Gärten, auch ein Stück Park, und wenn man diesen, mit der Richtung auf die Kirche zu durchschritt, kam man zuletzt an den Dobbertiner See, in dessen Nähe sich tagsüber nichts regte, bis dann bei Sonnenuntergang die Dohlen und Krähen zu vielen Tausenden von einem Eichenkamp her herüberkamen, um auf Turm und Kirchendach eine kurze Beratung abzuhalten.
Im Mai 1875 starb die Domina, die alte von Quitzow, fast sechsundneunzigjährig. Bis zuletzt hatte sie sich bei Kraft und fast auch bei Frische erhalten. Sie hatte viel Ähnlichkeit mit der zu jener Zeit in Berlin lebenden Frau von Quast, Roonstraße 8 – Mutter des Kunstkonservators und Großmutter des Landrats von Quast – die sich noch mit dreiundneunzig in ihren Gesellschaften durch Lebhaftigkeit, Esprit und Dezidiertheit hervorzutun wußte. Der Eindruck, den ich dabei empfing – und mit der alten Domina von Quitzow ging es mir ebenso – war aber doch mehr ein Eindruck des Staunens als der Freude. Man kann auch zu lange frisch bleiben und die geistige Jugend, die sich viele so sehr wünschen, ist ein zweischneidig Schwert; in einem gewissen Alter muß man auch alt wirken und wenn dies Natürliche sich nicht vollzieht, so berührt es mehr oder weniger unheimlich. Nach dem Tode der alten von Quitzow sollte die »Preußin« Domina werden, so war Wunsch und Wille der Verstorbenen gewesen. Aber die früheren Antagonismen waren mittlerweile wieder zu Kraft gekommen und da sich's traf, daß Mathilde von Rohr, just als die Neuwahl stattfinden sollte, schwer krank darniederlag, so siegte die Gegenpartei, was schließlich vielleicht allen angenehm war, auch den Vereinzelten, die für sie gestimmt hatten. In ihrem beständigen Betonen des Rechtsstandpunktes und der wiederzuerobernden historischen Domina-Machtstellung – die Domina rangiert, glaube ich, gleich nach den Mitgliedern der großherzoglichen Familie- desgleichen in dem strengen Regiment, das sie sicherlich eingeführt und in Kämpfen gegen die »weltliche Macht«, i.e. gegen den Klosterhauptmann behauptet haben würde, flößte sie den verschiedensten Parteien eine gewisse Besorgnis für ihre Zukunft, zum mindesten für ihre Bequemlichkeit ein. Eine jüngere, trätablere Dame wurde Domina und als Mathilde von Rohr wieder eine Genesende war, war sie weitab davon, in Indisziplin zu verfallen; sie
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