Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Ohren kam, er habe das Prinzip, Handwerker nie aus freien Stücken zu bezahlen, sondern – um vom Kapital so viel und so lange Zins zu haben wie möglich – immer erst die Klage der armen Leute abzuwarten. Einer hatte ihr das unter Tränen erzählt und hinzugesetzt, er könne nicht mal klagen, denn dann verlöre er die Kundschaft vieler anderer dazu. Da ging sie zu dem Grafen und machte ihm Vorstellungen und es half auch; als er aber immer wieder rückfällig wurde, gab sie auch ihn auf und sorgte dafür, daß sein Leumund in der Wilhelm- und Behrenstraße nicht besser wurde. Denn ihr heroischer Mut ließ sie jeden Kampf aufnehmen, wenn es ihr nötig schien. Sie hatte etwas Männliches, aber darin war sie doch auch wieder ganz weiblich, daß sie starke Sympathien und Antipathien hatte, was mir persönlich zugute kam. Ich war ihr Verzug, fast mehr als Lepel, und konnte tun, was ich wollte – sie fand immer eine Entschuldigung. Eine Nachsicht und Milde, die sie keineswegs für jeden hatte! Die letzte Wurzel davon war, gleichviel nun ob es mir zukam oder nicht, ihr großes Vertrauen zu mir, was einmal einen mich tief rührenden Ausdruck annahm. Als ich nämlich vor jetzt zwanzig Jahren in meine gegenwärtige Wohnung zog und ihr erzählte, das alte Weib, das bis dahin in dieser meiner Wohnung gewohnt und dieselbe sehr ungern verlassen habe, habe beim Hinausgehen so was wie einen Hexenfluch ausgesprochen und mir allerhand Böses gewünscht, was mir nun doch im Kopf herumgehe, da nahm sie meine Hand und streichelte sie und sagte: »Das tut Ihnen nichts; Sie kommen da drüber weg.« Und so verwöhnte sie mich in allen Stücken, hatte nur Liebe und Güte für mich und war mir auch, um eine Hauptsache nicht zu vergessen, bei meinen Arbeiten vom allergrößten Nutzen. Ihrer Natur nach, wie ich nur wiederholen kann, mehr gewollt als wirklich literarisch, hat sie mir trotzdem auf eben diesem Gebiete sehr ersprießliche Dienste geleistet und wohl ein Dutzend der lesbarsten Kapitel in meinen »Wanderungen« verdanke ich ihrem nie rastenden Eifer, der mir Empfehlungsbriefe schrieb und mir mitunter auch fix und fertige Beiträge verschaffte, die nur ein wenig der Zurechtstutzung bedurften. Ein solcher Beitrag ist beispielsweise der ein völliges Charakterbild gebende Brief, der sich mit der Frau von Jürgaß, einer Tochter des alten Zieten, beschäftigt. Aber bei solchen von den verschiedensten Seiten herrührenden Beiträgen blieb es nicht, sie war auch persönlich ein wahres Anekdotenbuch und eine brillante Erzählerin alter Geschichten aus Mark Brandenburg, besonders in bezug auf adlige Familien aus Havelland, Priegnitz und Ruppin. Den Stoff zu meinem kleinen Roman »Schach von Wuthenow« habe ich mit allen Details von ihr erhalten, und wo ich in dem langen Trieplatzkapitel von den verschiedensten Rohrs erzählt habe, sind es Mitteilungen aus ihrem Munde.
Die mit ihr in dem Häselerschen Hause (Behrenstraße) verplauderten Stunden zählen zu meinen glücklichsten.
II
So gingen die Dinge bis zum Jahre 1869. Zu dieser Zeit kam die Aufforderung an das Fräulein, ihren Klosterplatz in Dobbertin in Mecklenburg einzunehmen, wozu sie, so schwer ihr das Scheiden aus Berlin auch wurde, sogleich bereit war.
Über diesen Klosterplatz muß ich hier ein Wort einschalten. Dobbertin ist eines jener adligen Fräuleinstifte, denen wir im protestantischen Norddeutschland an den verschiedensten Stellen begegnen; in Brandenburg haben wir Kloster Heiligengrabe, in Pommern Schönfließ, in Mecklenburg verschiedene: Dobbertin, Malchow, Ribnitz. Dobbertin bei Goldberg ist unter diesen dreien das größte. Vordem, wie dies bei all diesen Stiften der Fall, war es ein Kloster und aus dieser Klosterzeit schreibt sich wahrscheinlich das Recht bestimmter adliger Familien – darunter auch einige nicht-mecklenburgische – her, »ihre Töchter ins Kloster einschreiben zu lassen«. Das geschieht, wenn sie noch Kinder sind. Verheiraten sie sich, so erlischt dies Recht, verheiraten sie sich nicht, so empfangen sie von einem bestimmten Zeitpunkt wahrscheinlich von der Zeit ihrer Großjährigkeit an, eine Rente, die sie zunächst verzehren können wo sie wollen, bis im Kloster selbst eine »Stelle« frei wird. Tritt dieser Zeitpunkt ein, so rücken sie nach der Anciennität oder wohl richtiger nach dem Datum der Einschreibung in die Stelle ein. Wenn ich nicht irre liegt hierzu kein Zwang vor, und ein Fernbleiben vom Kloster sogar unter fernerer
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