Wanderungen durch die Mark Brandenburg
nahm die Dinge, wie sie jetzt rechtmäßig lagen, und unterwarf sich.
Noch zehn Jahre war es ihr vergönnt, frisch und freudig in ihrer Stellung auszuharren, und einzelne Freundschaften, die sie während eben dieser Zeit schloß, gestalteten diese zehn Jahre, trotz herber Schicksalsschläge, zu besonders glücklichen ihres Dobbertiner Lebens. Dann aber kam neue schwere Krankheit, ein Herzleiden. Die Anlage dazu mochte seit lange da sein, aber erst eine große Gemütsbewegung brachte das Leiden zum Ausbruch; ein prinzipieller Streit, den sie hatte, schloß nicht bloß mit einer Niederlage, sondern, der Form nach, in der sie sich vollzog, auch mit einer schweren persönlichen Kränkung für sie ab. Gewiß hätte diese kränkende Form ihr erspart bleiben sollen, andererseits war sie wohl nicht ganz ohne Schuld, wenn der Satz richtig ist, daß man auch im Hervorkehren des sogenannten »Rechtsstandpunktes« zu weit gehen kann. Ich fürchte, daß etwas von diesem »zuviel« ihrerseits mit im Spiele war. Aber wie dem auch sein möge, sicherlich versah sie es darin, daß sie beim Eintritt in den ihr mehr oder weniger aufgedrungenen Kampf die Kräfte nicht richtig abmaß. Wer solchen Kampf aufnehmen und durchfechten will, muß im voraus wissen, daß er kraft seiner Persönlichkeit oder kraft der Unterstützung, die ihm mächtige Verbindungen und glückliche Gesamtverhältnisse leihen, den Sieg oder doch wenigstens die Chancen des Sieges in Händen hat. Siegt er nicht, so werden nutzlos die Kräfte verzehrt. Und so lag es hier. Mathilde von Rohr heimste schließlich in der von ihr geführten Fehde nichts ein, als ein zum Tode führendes schmerzhaftes Leiden. Dies Leiden selbst trug sie mit großer Ergebung und bestrebte sich dabei, was ihrem natürlichen Menschen beinahe widersprach, voll christlichen Sinnes demütig und vergebungsgeneigt zu sein. Und so verzieh sie denn auch denen, die sie gekränkt hatten. In zwei Stücken aber blieb sie sich gleich bis zuletzt: in der Liebe zu denen, an denen ihr Herz einmal hing, und in ihrem persönlichen Mut. Während ihrer letzten, von asthmatischen Beschwerden beständig heimgesuchten Leidenszeit, hatte sie das Unglück, eine freche Person als Hausmädchen um sich zu haben, und alle, die es gut mit ihr meinten, wollten dem abhelfen und namentlich in den Nachtstunden ihr eine zweite Pflegerin geben; aber sie lehnte dies, trotz ihres absolut hilflosen Zustandes, ab, weil sie ihrer moralischen Überlegenheit vertraute. Und dies Vertrauen täuschte sie auch nicht. Mitunter schien ihr Zustand sich zum Bessern wenden zu wollen, am 15. September 1889 aber sahen alle, daß es zu Ende ging und am Vormittage des 16. entschlief sie. Die Trieplatzer Verwandten kamen; am zweiten Tage schaffte man die Tote nach der Kirche hinüber und am Nachmittage des dritten (19. September) wurde sie zur Ruhe bestattet. Unter denen, die zum Begräbnis erschienen waren, war auch der älteste Sohn ihres alten Freundes Bernhard von Lepel.
Ein äußerlich nicht hervorragendes, aber innerlich tüchtiges Leben hatte aufgehört zu sein. Ihre vollste Würdigung hatte sie von der alten Domina von Quitzow erfahren, die von ihr zu sagen pflegte: »es gibt nur eine Rohr« und immer voll Anerkennung jener Ungeschminktheit und Einfachheit war, die zuletzt unser Bestes bleibt. Und einfach und natürlich waren schließlich auch noch die Aussprüche, die sie während ihrer letzten Krankheit zu Befreundeten tat: »Immer erst das tun, was vor Gott recht ist; dann erst kommt die Rücksicht auf andere und die Liebe zu den Menschen.« Und bei anderer Gelegenheit: »Nur nicht immer bloß klug sein wollen; wer bloß klug ist, da zeigt sich über kurz oder lang in abschreckender Gestalt, daß ihm das Beste fehlt: die Wahrheit und die Güte. Und wo die fehlen, da kommt nichts zustande.«
Sie war eine richtige Lutheranerin, noch mehr ihrem Wesen als ihrem Bekenntnis nach, und wußte sich was damit. Da machte es denn einen großen Eindruck auf mich, daß sie mir, wenige Wochen vor ihrem Tode, wo ich sie noch einmal in Dobbertin besuchte, mit Ergriffenheit sagte: »Ja, wir hoffen selig zu werden und ich hoffe es auch. Aber wenn dann so die Beängstigungen kommen, da habe ich doch schon gebetet, daß es vorbei sein möchte, und wenn es auch ganz und gar vorbei wäre. Schrecklich zu sagen, aber die Seligkeitsfrage beschäftigte mich in solchem Augenblicke gar nicht mehr.«
Neben ihrem lutherischen Wesen war sie vor allem spezifisch
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