Wanderungen durch die Mark Brandenburg
verschwindet, biegt unser Postwagen rechts in die Chaussee ein, die uns auf der ersten Hälfte des Weges abwechselnd über Tal und Hügel, dann aber vom schönen Falkenberg aus, am Fuße des Barnimplateaus hin, dem Zielpunkt unserer Reise entgegenführt.
Wie oft bin ich dieses Wegs gekommen. Um Pfingsten, wenn die Bäume weiß waren von Blüten, und um Weihnachten, wenn sie weiß waren von Schnee; heut aber machen wir den Weg zur Pflaumenzeit und freuen uns des Segens, der lachend und einladend zugleich an den gestützten Zweigen hängt. Es ist um die vierte Stunde, der Himmel klar, und die niedersteigende Sonne kleidet die herbstliche Landschaft in doppelt schöne Farben. Der Wagen, in dem wir fahren, hindert uns nicht, uns des schönen Bildes zu freuen; es ist keine übliche Postchaise mit Ledergeruch und kleinen Fenstern, es ist einer von den großen Sommerwagen, ein offenes Gefährt mit zwanzig Plätzen und einem »Himmel« darüber, der auf vier Stangen ruht. Dieser »Himmel« – die Urform des Baldachins, der Wagen selbst aber dem alten Geschlecht der Kremser nah verwandt, an deren Stelle mehr und mehr das Kind der Neuzeit »der Omnibus« zu treten droht.
In leichtem Trabe geht es auf der Chaussee wie auf einer Tenne hin, links Wiesen, Wasser, weidendes Vieh und schwarze Torfpyramiden, rechts die steilen, aber sich buchtenden Hügelwände, deren natürlichen Windungen die Freienwalder Straße folgt. Aber nicht viele befinden sich auf unserem Wagen, denen der Sinn für Landschaft aufgegangen; Erwachsene haben ihn selten, Kinder beinah nie, und die Besatzung unseres Wagens besteht aus lauter Kindern. Sie wenden sich denn auch immer begehrlicher dem näher liegenden Reiz des Bildes, den blauen Pflaumen zu. In vollen Büscheln hängen sie da, eine verbotene Frucht, aber desto verlockender. »Die schönen Pflaumen« klingt es von Zeit zu Zeit, und sooft unser Kremser den Bäumen nahe kommt, fahren etliche kleine Hände zum Wagen hinaus und suchen die nächsten Zweige zu haschen. Aber umsonst. Die Bewunderung fängt schon an in Mißstimmung umzuschlagen. Da endlich beschleicht ein menschliches Rühren das Herz des Postillons und auf jede Gefahr, selbst auf die der Pfändung oder Anzeige hin links einbiegend, fährt er jetzt mit dem wachsleinenen Baldachin mitten in die Zweige des nächsten Baumes hinein. Ein Meistercoup. Wie aus einem Füllhorn fällt es von Front und Seite her in den offenen Wagen; alles greift zu; der kleinste aber, ein Blondkopf, der vorne sitzt und die Leine mit halten durfte, als führ' er selber, deklamiert jetzt auf den schmunzelnden Postillon ein: »Das ist der Daum, Der schüttelt die Pflaum«, und an Landhäusern und Wassermühlen, an Gärten und Fischernetzen vorüber, geht es unter endloser Wiederholung des Kinderreims, in den der ganze Chorus einfällt, in das hübsche aber holprige Freienwalde hinein.
Freienwalde ist eine Bergstadt, aber nicht minder ist es ein Badeort, eine Fremdenstadt. Wir haben erst eine einzige Straße passiert und schon haben wir fünf Hotels und eine Hofapotheke gezählt; noch sind wir nicht ausgestiegen und schon rasseln andere Postwagen von rechts und links heran; das Blasen der Postillone nimmt kein Ende; Herren in grünen Reiseröcken und Tiroler Spitzhüten wiegen sich auf ihren Stöcken und umstehen das Posthaus, bloß in der vagen Hoffnung, ein bekanntes oder gar ein hübsches Gesicht zu sehen; Hausknechte erheben ihre Stimme zu Ehren der »Drei Kronen« oder der »Stadt Berlin«, und die ersten Anfänge des Ciceronentums, rätselhafte Gestalten in Flauschröcken und Strohmützen, stellen sich schüchtern dem Neuankommenden vor und erbieten sich, ihm die Schönheiten der Stadt zu zeigen. Nur der fliegende Buchhändler fehlt noch, der die »Schönheiten Freienwaldes«, besungen und lithographiert, mit beredter Zunge anzupreisen verstände.
Freienwalde ist ein Badeort, eine Fremdenstadt und trägt es auf Schritt und Tritt zur Schau; was ihm aber ein ganz eigentümliches Gepräge gibt, das ist das, daß alle Bade- und Brunnengäste, alle Fremden, die sich hier zusammenfinden, eigentlich keine Fremden, sondern märkische Nachbarn, Fremde aus nächster Nähe sind. Dadurch ist der Charakter des Bades vorgeschrieben. Es ist ein märkisches Bad und zeigt als solches in allem jene Leichtbegnüglichkeit, die noch immer einen Grundzug unseres märkischen Wesens bildet. Und zwar mehr noch, einzelne Residenz-Ausnahmen zugegeben, als wir selber wissen. Freienwalde
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