Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Kirche bilden den Hintergrund, nach der Straße zu stehen drei Linden und inmitten dieser Landschaftsrequisiten erhebt sich ein alter Fachwerkbau, an dem ein erkerartig vorspringendes Fenster und zwei Rosenbäume so ziemlich das Beste sind. Die Rosenbäume fassen das Fenster ein, aber sie müssen den schmalen Raum mit zwei Aushängebrettern teilen, auf denen wir im Lapidarstil lesen: »Schirme repariert; Drechslerarbeit in Holz und Horn.« Dazu eine große, in Holz geschnittene Tabakspfeife, die als Ornament deutungsreich über dem Ganzen schwebt.
Das ist allerdings, was wir suchen. Hier wohnt Karl Weise, Poet und Drechslermeister von Freienwalde,
Drechselt Pfeifen in guter Ruh
Und macht auch wohl 'nen Vers dazu.
Das Ganze hat das Anheimelnde einer Poetenwohnung alten Stils und wir treten guten Mutes ein. Eine Türklingel – nicht eine von den geräuschvollen, die, einmal in Bewegung gesetzt, wie ein bellender Dorfspitz gar kein Ende finden können, sondern eine von den leisen, wohlerzogenen – kündigt unser Eintreten an und eh wir uns noch in dem Halbdunkel, für das die draußenstehenden drei Linden ausgiebig sorgen, zurechtgefunden haben, erscheint aus der Werkstatt her, wo wir eben noch das Schnurren des Rades hörten, ein stattlicher Mann, hemdsärmlig, in Arbeitskostüm, und sieht uns freundlich fragend an. Er ist brünett, groß, breitschultrig, in seiner ganzen Erscheinung von südslawischem Typus, und nach Teint, Haltung und Schnurrbart viel eher ein Seressanerhauptmann, als ein Drechslermeister oder Poet. Nichtsdestoweniger ist er beides und in dem friedliebendsten Dialekt der Welt, im reinen Hallensisch, erkundigt er sich nach unsrem Begehr.
Wir reichen ihm die Hand, sagen ihm, daß wir als gelegentlich ebenfalls Versbeflissene gekommen wären, »um das Handwerk zu grüßen« und daß wir vorhätten, wenn irgend möglich, den Abend mit ihm draußen zu verplaudern.
Unser Poet schlägt ein, die eben untergehende Sonne mahnt ohnehin an Feierabend, und sich auf Minuten bei uns entschuldigend, führt er uns zunächst in das nebenan gelegene Zimmer, das mit seinen geschmückten Wänden die Honneurs des Hauses macht.
Wir benutzen diese Pause, uns in dem Putz- und Empfangszimmer neugierig umzusehen, und sind überrascht von der Sinnigkeit der Anordnung. Wenn das ganze Haus ein Poetenhaus ist, so ist dies das Poetenstübchen. Blumen und Bilder wechseln untereinander ab; Geranium und Primel blicken schüchtern zu einer gipsernen Flora auf, Efeutöpfe spannen ihren grünen Bogen über Schrank und Spiegel und zwischen allermodernste Farbendrucke drängen sich, in breiten Ebenholzrahmen, ein paar altfranzösische Stiche: »Vue des Environs de Saverne; dedié a Madame la Marquise de Vilette, Dame de Ferney-Voltaire.« Das scheint nicht zueinander zu passen, aber es paßt alles sehr gut. Was unsere modernen Zimmereinrichtungen so langweilig macht, das ist das Schablonenhafte und das Beziehungslose. Hier hat alles eine Beziehung, eine Geschichte, wäre diese Beziehung oft auch keine andere, als innerhalb der Kleinwelt eine mühevolle Eroberungsgeschichte.
Unser Poet hat sich inzwischen reisefertig gemacht und bietet uns freundlich seine Führerdienste an. Wer wäre dazu geeigneter, als er, der nicht nur alle Wege und Stege der Umgegend kennt, sondern auch die schönsten Punkte in Berg und Tal besungen hat; die vorgeschrittene Stunde aber macht es uns wünschenswert auf entferntere Touren zu verzichten, und unsere Wünsche bescheidentlich in ein »je näher, je besser« kleidend, schreiten wir dem unmittelbar vor der Stadt gelegenen Schloßgartenberg zu, dessen bauliche Anlagen (Schloß, Pavillon usw.) wir schon in einem früheren Kapitel kennenlernten.
Aber heute lassen wir Schloß und Pavillon am Abhange des Berges liegen und steigen höher hinauf, wo schmale, durchs Parkholz geschlagene Wege in endlosen Windungen die obere Hälfte des Hügels umziehen. Kein besserer Plauderweg denkbar, als solch ein Schlängelweg. Die gerade Linie, die den Raum mißt, hat auch etwas von einem Zeitmesser, und die siebenmal auf- und abgeschrittene Avenue wirkt unwillkürlich wie ein siebenmal gerückter Zeiger; aber der Schlängelweg entzieht sich einer derartigen Zeitkontrolle und die Frage nach dem »zuviel« wird rein praktisch durch den ermüdeten oder nicht ermüdeten Fuß entschieden. Die Füße aber ermüden schwer bei guter Unterhaltung und solcher erfreuen wir uns an der Seite unseres Führers und Genossen.
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