Wanderungen durch die Mark Brandenburg
geworden waren, wurden zum zweiten Male an Privatleute verkauft; ein großer Fonds, den die Stände unter Friedrich II. aus politischem Eifer gebildet hatten, um die endliche Tilgung landesherrlicher Schulden herbeiführen zu können, wurde eingezogen, aber nichtsdestoweniger die Pflicht der Schuldentilgung und Verzinsung bei den Ständen belassen; endlich drangen Regierungsbeamte in Begleitung von Landreitern in das Landschaftshaus ein, erbrachen, als man ihnen die Schlüssel verweigerte, die Kassen des Landarmeninstituts und führten die deponierten Summen ständischen Eigentums gewaltsam fort. Dies alles war geschehen gegen Recht und Billigkeit, ja im Widerspruch mit einer Anerkenntnis, die man erst vier Monate früher gegen die Loyalität und Opferfreudigkeit der Stände ausgesprochen hatte. »Mit Rührung«, so hieß es damals wörtlich in einem von Hardenberg kontrasignierten Erlasse, »haben wir die Beweise von Anhänglichkeit aller Klassen unserer getreuen Untertanen an unsere Person bemerkt, insonderheit auch die Hilfe erkannt, welche uns bei der Sicherstellung der Kontribution an Frankreich und bei der Aufbringung der einstweiligen nötigen Fonds von unsern getreuen Ständen mit größter Bereitwilligkeit geleistet worden ist.« – Und nun, mit Gewaltmaßregeln hatte man geglaubt, der weiteren Hilfsbereitschaft der Stände nachhelfen zu müssen. Viele fühlten die Bitterkeit des Unrechts, aber wenige hatten den Mut auszusprechen, was sie fühlten. Unter diesen wenigen stand Marwitz obenan. Er war der bewußteste und selbstsuchtsloseste und konnte energischer auftreten als andere, weil er im eignen Herzen empfand, daß er den Kampf nicht um äußern Vorteils, nicht um einer »Kasse«, sondern um Rechtes willen aufnahm.
Er stellte sich an die Spitze der Lebusischen Stände und protestierte. Er bat nicht, er bettelte nicht, er betonte das ständische Recht. Das war dem Minister zuviel, und je mehr er fühlen mochte, wie schwer der begangene Rechtsbruch sei, desto mehr empfand er die Notwendigkeit, die Klage stumm zu machen. Einschüchterung sollte helfen. Marwitz und Graf Finkenstein, die den Protest abgefaßt hatten, wurden zu »warnendem Exempel« auf die Festung Spandau geschickt. Das Kammergericht selbst, als öffentlicher Ankläger auftretend, verfügte die Verhaftung beider, ohne daß ein Verhör oder eine wirkliche Gerichtsverhandlung stattgefunden hätte. So war denn auch der Anruf der Gerichte den vorweg Verurteilten abgeschnitten. 39
Dies entschied für Marwitzens Lebenszeit, und vor seiner Seele stand von jetzt an das aide toi même. Das alte gekränkte Recht des Landes, den ständischen Staat, der nicht auf dem Wege Rechtens beseitigt war, gegen jeden Angriff zu halten, wurde von nun an seine Aufgabe, sein letztes Ziel. Da andere Schultern zu schwach und zu träge waren, die Last auf sich zu nehmen, so tat er es. Den offenen Widerstand gab er auf, aber er schärfte sich die Waffen des Geistes für einen kommenden Kampf, und die Schwächen der Hardenbergschen Verwaltung sind vielleicht nirgends klarer und scharfsinniger erkannt und rücksichtsloser aufgedeckt worden, als in den ziemlich zahlreichen Denkschriften Marwitzens, die wir jener Epoche steter und energischer Gegnerschaft verdanken. Es sind Musterstücke nach der kritischen Seite hin, auch an Ideen ist kein Mangel. Aber um praktisch-unmittelbar zu helfen, dazu waren diese Ideen entweder überhaupt nicht angetan oder doch zu allgemeiner und weitaussehender Natur, und ihr Bestes ist ihre ideelle Anregung geblieben, die sie denn auch in reichem Maße gegeben haben.
Marwitzens Gefangenhaltung hatte im Juli 1811 stattgefunden. Mehr gehoben als gedemütigt war er nach Friedersdorf zurückgekehrt, voll des Gefühls, einen guten Kampf gekämpft zu haben. Mit gerechtem Selbstbewußtsein schrieb er später die Worte nieder: »Ich genoß seitdem eine weit verbreitetere Achtung und ward von allen Erbärmlichen geflohen als einer, in dessen Nähe man sich leicht verbrennen kann.«
So kam der Winter 1812 auf 1813. Die französische Armee war vernichtet, und Marschall Macdonald, der das abgetrennt operierende zehnte Korps kommandierte, hatte ausgerufen: »Où est la grande armée? La grande armée, c'est le dixième corps.« Die berühmte Kapitulation von Tauroggen war geschlossen; Alexander von der Marwitz, der jüngere Bruder, der damals in Potsdam lebte, brachte die Nachricht in fliegender Eile nach Friedersdorf. »Jetzt oder nie!« Beide Brüder
Weitere Kostenlose Bücher