Wanderungen durch die Mark Brandenburg
dort gefunden. Die Stadt soll von den Hussiten auf ihrem Zuge nach Bernau zerstört worden sein. Einige meinen, daß die Zerstörung älter sei. Der große platte Stein innerhalb der »Stadtstelle«, der sogenannte Mark- oder Marktstein, ist vielleicht ein Denkmal aus der heidnischen Zeit. Es ist nicht undenkbar, daß hier, mitten im Urwalde, schon die Semnonen einen Volksversammlungsplatz oder eine Opferstätte hatten, und daß die Städtebauer einer späteren Epoche den heidnischen Opferstein einfach liegen ließen, wo er war, weil es unmöglich war, ihn fortzuschaffen. Dieser Markstein wird hier auch noch liegen, wenn von den Feldsteinmauern rings umher längst die letzte Spur verschwunden ist. Sollen diese Spuren aber vorläufig noch gewahrt werden, so ist es die höchste Zeit. Schon hat die Pflugschar ganze Strecken der ›Stadtstelle‹ in Äcker umgewandelt, und der Eichenwald ist hin, der diese Stelle so lang in seinen Schutz genommen«.
So weit der Bericht von 1843. Ich suche nun in nachstehendem zu schildern, wie ich zwanzig Jahre später die Stadtstelle gefunden habe.
Von einem Wasserpfuhl, der sogenannten »Suhle« aus gesehn, hat man nach Osten hin ein wellenförmiges, hier und da bebautes Stück Land vor sich, das an einzelnen Stellen von aufgetürmten, sehr niedrigen Steinmauern eingefaßt, an anderen Stellen wie mit großen Feldsteinen besäet ist. Wer viel in der Mark gereist ist, dem fallen diese Feldsteine nicht auf, die hier einfach um des Ackers willen beiseite geworfen oder sozusagen an den Tellerrand gelegt erscheinen. Und so nähert man sich der Umwallung in der vollen Überzeugung, daß Klöden recht gehabt habe, als er die Existenz einer Stadtstelle bestritt. Aber dieser Eindruck ist nicht von Dauer. Unser kundiger Führer führt uns an ein Gestrüpp von Elsbusch und Brombeerstrauch und sagt dann, auf eine Steinlinie zeigend, die kaum fußhoch aus der Erde hervorragt: »Dies ist die Kirche.« Wir antworten zunächst mit einem halb verlegenen Lächeln. »Hier können Sie den Kalk sehen«, fährt er fort, ein Stück Mörtel aus den Fugen losstoßend, und indem wir uns nunmehr niederbeugen und das Kalkstück in die Hand nehmen, erkennen wir mit denkbar größter Bestimmtheit, daß wir hier nicht eine aufgeschüttete Einfriedigung, sondern ein in die Tiefe gehendes, gemauertes Fundament vor uns haben. Auf einen Schlag sind wir überführt. Wir verfolgen nun die Steinlinie, kommen an einen Eckstein, endlich an einen zweiten und dritten und überblicken das Oblong. Alle Zweifel sind geschwunden und wir sehen klärlich, daß hier ein Gebäude gestanden hat. Die Fundamente liegen da. Ob Kirche oder Rathaus, ist gleichgültig. Höchst wahrscheinlich die Kirche.
Unser Führer erkennt sehr wohl die Umwandlung, die mit uns vorgegangen. »Ich werde Sie nun zu dem großen Brunnen führen«, murmelt er gleichgültig vor sich hin, aber mit erkünsteltem Gleichmut, denn diese »Stadtstelle« ist sein Stolz. Und inmitten eines Stück Roggenlandes, dessen Halme kaum erst handhoch aus der Erde ragen, stehen wir alsbald vor einem jener Ziehbrunnen, wie wir ihnen noch jetzt in unseren Dorfgassen begegnen. Wir sehen eine Rundung von fünf bis sechs Fuß Durchmesser, die Rundung selbst mit Feldsteinen ausgemauert und die mit Geröll locker zugeworfene Höhlung noch immer über fünf Fuß tief. Auf unsere Fragen erfahren wir, daß vor einem Menschenalter alle diese Dinge noch viel erkennbarer waren: das Mauerwerk der Kirche ragte noch mannshoch auf, die Brunnenhöhlung war noch gegen fünfzehn Fuß tief, und der Mantel des Brunnens erwies sich noch deutlich als eine Art Lehmzylinder, in dem die Steine kreisförmig übereinander steckten.
Wir schreiten von der »Brunnenstelle« zu der benachbarten »Backofenstelle«. Sie liegt im Roggenland und gibt sich zunächst durch nichts Besonderes zu erkennen. Halme stehen jetzt dicht umher. Erst bei genauerer Einsicht gewahren wir, daß sich mitten in dem schwarzbraunen Boden eine kreisrunde Lehmstelle von etwa Backofendurchmesser scharf markiert.
Von hier aus geht es weiter zum »Markstein«, der bis diesen Tag von einer alten Eiche überschattet wird. Aber sie gehört doch nur dem Nachwuchs an, der, als die Stadt zerstört war, durch die offenen Tore hier einrückte. Die wirklich alte Eichengeneration, die bei Lebzeiten der Stadt den Marktplatz einfaßte und beschattete, ist hin und zeigt nur noch an einzelnen Wurzelstubben, wes Schlages und Umfanges sie war.
Weit
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