Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 8 Bde., Bd.1, Die Grafschaft Ruppin
Gründung von Gentzrode war das letzte große Unternehmen. Aber ehe die Tausende dafür verausgabt werden konnten, mußten die Einer und Zehner erworben werden. Das forderte einen langen und mühevollen Weg.
Wie er diesen Weg machte, welche Mittel er ersann, um zu seinem Ziele zu gelangen, ist bezeichnend für den Mann. Um drei Uhr war er auf und begann damit, den Laden selber auszufegen. Dies verriet Kraft und Energie und vor allem jenen Mut, der dem Gerede der Leute Trotz bietet. Eine Art von Genie aber entwickelte er in seinem Verkehr mit dem Publikum. Von einer seiner Meßreisen hatte er eine acht Fuß hohe Spieluhr mitgebracht, die fünf Lieder spielte. Wollte nun eine wohlhabende Bauerfrau, die nach seiner Meinung noch nicht genug gekauft hatte, den Laden wieder verlassen, so zog er an der Uhr, die sofort »Schöne Minka, du willst scheiden« zu spielen begann. Die Frau blieb nun, um weiter zu hören, und fiel als Opfer ihrer Neugier oder ihres musikalischen Sinnes. Als die Uhr defekt geworden war, schaffte er statt ihrer eine Schwarzdrossel an, die in gleicher Lage pfeifen mußte:
Mein Schätzchen, mein Schätzchen, kommst immer her
Und bringst mir gar nichts mit?
Der schon vorerwähnte Kauf der Wustrauer Wiesen erfolgte gegen 1840 und legte, wenigstens nach damaligen Begriffen, das Fundament zu wirklichem Reichtum. Was bis dahin erworben war, bedeutete nicht viel mehr als eine mittlere Wohlhabenheit. Im Loch aber lag ein Schatz. Erst von jenem Zeitpunkt ab hob sich, mit der finanziellen Lage des Besitzers, auch der Torfbetrieb überhaupt. In unseren residenzlichen Heizungsverhältnissen bildet übrigens der Torf, wie hier parenthetisch bemerkt werden darf, nur eine »Episode«, die rapid ihrem Abschluß entgegengeht. Anfang dieses Jahrhunderts begann sie zu blühen, und ehe hundert Jahre um sein werden, wird sie gewesen sein. Wie bei der Newcastler Steinkohle, so ist auch beim Linumer Torf sein Ende vorausberechnet.
Aber zurück zu unserm Christian Gentz.
Etwa 1855 schied er aus den Geschäften, dieselben seinem jüngeren Sohne Alexander (siehe das Kapitel »Gentzrode«) überlassend. In einem am »Tempeltore« gelegenen Garten, unter den Bäumen des Walls, verbracht er mit Vorliebe seine Tage, ländlichen Beschäftigungen hingegeben, die nur, von 1857 ab, durch häufige Nachmittagsfahrten auf das in Gründung begriffene Gut und dann und wann auch durch weitere Reisen unterbrochen wurden. Die weiteste dieser Reisen ging nach Paris, wo sein älterer Sohn, der Maler Wilhelm Gentz, damals lebte. Völlig umgewandelt, wenigstens in seiner äußeren Erscheinung, kam er von dieser Reise zurück. Er trug einen eleganten Anzug aus dem Schneiderkunst-Atelier von Dusantoy, dazu einen langen, weißen Bart und einen Fez. In diesem Aufzuge verblieb er auch bis an sein Lebensende, mit Ausnahme der Dusantoyschen Schöpfung, die, selbstverständlich, einige Jahre später durch bescheidnere Produkte heimischer »Ateliers« ersetzt werden mußte. Seines weißen Bartes war er ganz besonders froh und widerstand allen Aufforderungen, ihn abzulegen. »Ich habe lange genug einem hochlöblichen Publikum gedient und einen Philisterbart getragen; nun will ich endlich frei sein und einen Demokratenbart tragen.«
Dies führt uns auf seine Gesinnung, auf sein Glaubensbekenntnis in politischen und kirchlichen Dingen. Personen, die sich aus dem Nichts emporarbeiten, haben immer eine Neigung, ins Extrem zu verfallen und entweder alles dem lieben Gott oder aber alles sich selber anzurechnen. Zählen sie zu den erstren, also zu den gläubig-kirchlichen Leuten, so sind sie meist auch loyal, Ordnungsmänner par excellence, und werden, mit einem Ordenskissen vorauf, schließlich als Geheime Kommerzienräte hinausgetragen; gehören sie jedoch umgekehrt zu der zweiten oder der ungläubigen Gruppe, so stehen sie, wie zur Großautorität Gottes, gewöhnlich auch zu den Kleinautoritäten der diesseitigen Welt in einem sehr zweifellustigen Verhältnis und haben in ihrer ungrammatikalischen Weisheit eine tiefe Neigung, alles, was nicht ihren Gang geht, unsagbar töricht zu finden. Innerhalb der Politik sind sie dann jedesmal treue Anhänger des Satzes: »Alles für das Volk, alles durch das Volk.« Und so war auch der alte Gentz. Die Zeiten sind vorüber, wo man sich berechtigt glauben durfte, daraus einen moralischen Makel herzuleiten. Das Recht einer freien Entwicklung der Geister, nach rechts oder links hin, ist zugestanden; nicht Ziel und
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