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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Schlachttagen , um in diesen ganz von ihr geleiteten ›großen Aktionen‹ durch keine
    Besuche gestört zu werden. Ja, dem Wurstmachen
    räumte sie sogar ihre sehr einfach ausgestatteten
    Wohnstuben ein.
    Als ich die treffliche Frau kennenlernte (die auch mir
    später eine mütterliche Ratgeberin wurde), muß sie
    schon hoch in den Siebzigern gewesen sein, aber sie
    zeigte sich noch in voller, rüstiger Lebenskraft, alle
    Jüngeren durch ihre Tätigkeit beschämend. Sie war
    immer die erste, die im Hause erwachte, ging um-
    her, um alle Dienstboten aus dem Schlafe zu we-
    cken, und erst wenn das tägliche Uhrwerk im Gange
    war, legte sie sich noch einmal auf ein Stündchen zur
    Ruh.
    Sie war von kleiner, kräftiger, untersetzter Gestalt,
    dem ›alten Zieten‹ auf dem Wilhelmsplatze wie aus
    den Augen geschnitten. Der Ausdruck von Klugheit
    und Energie, der ihr eignete, war durch den einer
    großen Freundlichkeit und Herzensgüte gemildert,
    wie ich denn auch nie gehört habe, daß sie ihre Au-
    torität im Hause durch Strenge oder gar Härte unter-
    stützt hätte. Sie regierte vielmehr ausschließlich
    durch Ernst und Konsequenz, vor allem aber durch
    ihr Beispiel , und war von ihren Untergebenen, wie 728
    von allen Nachbarn und Freunden, ebenso geliebt als
    verehrt. Von ihrer Frömmigkeit , dem schönen Erbteil ihres gottseligen Vaters, machte sie keine Worte,
    und alle Liebeswerke wurden in der Stille geübt.
    Bei aller häuslichen Tätigkeit vernachlässigte sie
    nicht die Bildung ihres Geistes und ging stets mit der
    fortschreitenden Zeit, deren Erscheinungen sie mit
    dem lebendigsten Interesse verfolgte. Walter Scotts
    Romane zählten zu ihrer Lieblingsunterhaltung, und
    oft erinnerte sie mich selbst an einzelne poetische
    Gestalten darin, besonders wenn sie mit einem wah-
    ren Feuereifer von dem Besuche Friedrich Wil-
    helms III. und der reizenden Königin Luise in Ganzer
    erzählte, als wär es ein Vorgang von gestern gewesen. Eine lila Flachsstaude im Garten, die die Königin
    Luise für ihre Lieblingsblume erklärt hatte, wurde,
    fast ein halbes Jahrhundert hindurch und von einem
    eisernen Korbgeflecht umfangen, sorgsam gepflegt
    und jedem Besucher gezeigt.
    Ihre Unterhaltung war belebt und belehrend und oft
    vom originellsten Humore gewürzt, wie sie denn
    durch und durch ein naturwüchsiges Original war.
    Wenn man sich ihrer Kräfte bei allen Anstrengungen
    verwunderte, versicherte sie, das rühre von einem
    starken Beisatz von Schwefel in ihrem Blute her, und rieb sich, zum Beweise, die Hände, wobei ich indes
    von dem verheißenen Schwefelgeruche niemals et-
    was wahrgenommen habe.
    Die Frische und Jugendlichkeit aber, die sie sich bis
    ins hohe Alter bewahrte, gipfelte besonders in ihrer

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    fast anbetenden Liebe zu ihrem Manne , der dieselbe mit großer Treue und etwas kühler Verehrung erwiderte. Bei Tische horchte sie nur auf seine Stimme,
    und wenn irgendein scherzhaftes Wort seines Mun-
    des zu ihr herüberklang, so rief sie, wie in unwillkür-
    lichem Entzücken und mit strahlender Miene:
    › Himmlischer Jürgaß!‹, › göttlicher Karl!‹ Nie werd ich den Zustand vergessen, in dem wir die Achtzigjährige fanden, als sie die Nachricht erhalten hatte, daß
    ihr Karl, während eines Besuches bei seinem Bruder
    in Berlin, heftig erkrankt sei und sie nicht zu ihm
    dürfe! Mit Tränen überströmt, an allen Gliedern zit-
    ternd, ganz aus ihrer gewohnten festen und kräftigen
    Haltung hinausgeworfen, stand die alte Frau da wie
    das Bild der Leidenschaft jugendlichster Liebe .
    Einst gestand sie mir, daß sie, an jedem Jahrestag
    ihrer Vermählung, in aller Stille immer ihr Hochzeits-
    kleid unter ihrem einfachen Hausrock anlege und daß
    ihre große Halskrause dann den Schmuck und die
    Perlenschnur des Hochzeitsstaates vor aller Augen
    berge.
    Sogar der Beisatz der Eifersucht fehlte dieser leidenschaftlichen Liebe nicht; doch richtete sie sich auf
    den unschuldigsten Gegenstand, auf den von sieben
    andern einzig übriggebliebenen Bruder ihres Mannes, den als Held aus den Freiheitskriegen berühmten,
    mit den schwersten Wunden und den ehrenvollsten
    Orden bedeckten Generallieutenant von Jürgaß (›die Exzellenz ‹, wie sie ihn in tiefer Ehrfurcht stets nannte), der fast jeden Sommer, zur Stärkung seiner er-
    schütterten Gesundheit einige Wochen oder Monat in

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    Ganzer zubrachte, wo dann die Brüder, wie ein Paar
    Inséparables, vom Morgen bis zum Abend unterein-
    ander verkehrten und

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