Wanderungen durch die Mark Brandenburg
sie sich, als die Dritte im Bunde, etwas beiseite geschoben fühlte. Auch verhehlte
sie, in ihrer großen Wahrheitsliebe, nicht eine jedes-
malige, etwas wehmütige Scheu bei der Meldung
dieses Besuches, und war es drum in der Nachbar-
schaft eine gern erzählte Anekdote, daß sie sich, in
ihren häuslichen Verpflichtungen, bei Bewirtung der
Exzellenz noch absichtlich steigre , um vor sich selbst und vor anderen den kleinen eifersüchtelnden
Verdruß an dem Besuche zu bemänteln.
Diese Exzellenz selbst aber war der einfachste, an-spruchloseste Heldengreis, der mir je vorgekommen,
bedeutender als sein Bruder, bescheiden im Bericht
über seine Taten und mit der Schwägerin auf einem
ziemlich förmlichen Fuß. Ich habe nie etwas Kindli-
cheres und Naiveres gesehen als das zärtliche Ver-
hältnis dieser beiden Brüder – besonders sind mir die
harmlosen kleinen Whistpartien um allerniedrigste Points in Erinnerung geblieben, die jeden Abend in
der Wohnstube stattfanden und noch jahrelang nach
dem Tode der im neunzigsten Jahre sanft entschla-
fenen Heldin dieser Erzählung fortgesetzt wurden,
bald in Ganzer und bald in Brunn. Damals aber, wo die liebe Alte noch als stille Zuschauerin auf dem
Sofa saß, entweder ihren Walter Scott lesend oder
mit mir oder einem andern Besuche plaudernd, wur-
de ›Pasterchen‹ als vierter zur Whistpartie herbeige-
rufen, wenn nicht gar Charlotte, das Hausmädchen,
als homme de bois fungieren mußte. So einfach wa-
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ren die Zeiten und die Sitten des patriarchalischen
Hauses!
Kinder waren der Frau von Jürgaß nicht beschieden, aber teilnehmend war und blieb sie gegen jung und
alt und ihr lebendiger Sinn für Schönheit machte (bei
ihrem gänzlichen Mangel derselben) einen beinah
rührenden Eindruck. So kann ich das ›Ah!‹ nicht ver-
gessen, mit dem sie, statt aller Begrüßung, vor der
reizenden Erscheinung der jungen Henriette von Rö-
der, Gemahlin des späteren Generals Karl von Röder,
stehenblieb, als wir ihr diese zum Besuche zuführten.
Jahrelang erzählte sie noch ›von den langen, blonden
Ringellocken, die die schönen Züge des durchsichtig-
klaren Gesichtes umrahmt hätten‹, und ermahnte
mich immer wieder, daß die schöne Frau ›für die
Akademie ‹, wie sie sagte, gemalt werden müsse.
Während ihrer letzten Lebensjahre war ich leider aus
der Gegend fern und weiß über ihren Tod nur das
eine, daß es ein sanfter war.
Wie ihr Charakter aus einem Stück, so war ihr Leben aus einem Guß , und ihre lautere Seele wird dort oben in der ewigen Einheit des Wahren und Guten
ihre Heimstätte gefunden haben.«
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Gottberg
Weiter rückt die Horde,
Und ausgestorben, wie ein Kirchhof, bleibt
Der Acker, das zerstampfte Saatfeld liegen,
Und um des Jahres Ernte ist's getan.
Schiller
Eine Meile östlich von Ganzer liegt Gottberg. Seit
Beginn des vorigen Jahrhunderts wechselten die Be-
sitzer mannigfach, bis dahin aber, namentlich wäh-
rend der Zeit der Reformation und des Dreißigjähri-
gen Krieges, war es ein Quitzowsches Gut. Nur die-
ser Zeitabschnitt interessiert uns hier, denn ihm ge-
hören die Gottberger Kirchenbücher an, die, durch die handschriftlichen Aufzeichnungen aus ebendieser
Kriegsepoche, eine gewisse Zelebrität erlangt haben.
Eh ich jedoch zu diesen Aufzeichnungen übergehe,
schick ich ein Gesamtbild der damaligen Lage , soweit unsre Grafschaft in Betracht kommt, voraus. Es handelt sich dabei lediglich um den Abschnitt von 1630
bis 1638. Bis zu diesem Zeitraume waren die Drangsale verhältnismäßig gering, nach diesem Zeitraum aber scheint der Krieg unsere Gegenden verschont
zu haben, weil alles ausgezogen war. Die Hälfte der
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Dörfer existierte nur noch dem Namen nach. Ich ge-
be nun die Daten in chronologischer Reihenfolge.
Die Grafschaft Ruppin von 1630 bis
1638
Im August des Jahres 1630 trafen die Schweden mit 2000 Mann Kavallerie und einem ansehnlichen Corps
Infanterie in der Grafschaft ein und besetzten Neu-
ruppin. Im Dezember erschienen zwar die zum Kai-
ser haltenden Brandenburger vor der Stadt, waren
aber viel zu ohnmächtig, um den Schweden den Be-
sitz derselben streitig machen zu können. Endlich
rückten die letzteren freiwillig ab.
Kaum hatten die Schweden sich entfernt, als Tilly im
Februar 1631 mit einer Armee aus dem Magdeburgi-
schen eintraf. In jeder Stadt unserer Grafschaft, wo
Tilly lag, erhielt der Capitain monatlich 54 Taler, der Lieutenant 20,
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