Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Mar-
schalls Macdonald, warf sie über den Haufen
und eroberte eine Standarte, fünf Kanonen
und die dazugehörigen Pulverwagen. In der
Schlacht von Laon entriß er dem Feinde fünf-
zehn Kanonen und fünfunddreißig Artillerie-
wagen. Im Jahre 1815, in der Schlacht von
Ligny, leitete der Generalmajor von Jürgaß
die Angriffe auf das Dorf St-Amand-la-Haye.
In der Nacht erhielt er in dem Getümmel ei-
nen Schuß unter der linken Schulter, nahe am
Herzen. Er empfing darauf im Jahre 1816 den
ehrenvollsten Abschied als Generallieutenant.
Von da an lebte er abwechselnd in Berlin und
bei seinem Bruder zu Ganzer, woselbst er am
8. November 1833 nach langen, höchst bit-
tern körperlichen Leiden starb.
3. In der Nacht vom 25. auf 26. Oktober war
Blücher mit seinem Corps, das später, nach
tapfrem Widerstand, in Lübeck kapitulieren
mußte, hier in Ganzer.
Noch einmal:
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Frau von Jürgaß, geborene von
Zieten
Zehn Jahre nachdem das vorstehende Kapitel ge-
schrieben und eine Charakterskizze der alten Frau
von Jürgaß versucht wurde, ging mir durch Frau von
Romberg, geborne Gräfin von Dönhoff († 1879) eine
zweite , denselben Gegenstand behandelnde Schilderung zu, der ich nachstehendes entnehme.
»Als ich im Jahre 1818, eben verheiratet, nach dem
Rombergschen Gute Brunn, in der Grafschaft Ruppin,
zog, lernte ich Frau von Jürgaß, die Tochter des be-
rühmten ›alten Zieten‹, auf ihrem benachbarten Gu-
te Ganzer kennen. Sie war schon hochbetagt, und
ich kann also von dem, was zurücklag, wenig oder
nichts berichten. Ich weiß weder das Jahr ihrer Ge-
burt, noch wo und wie sie ihre Kindheit und Jugend-
jahre verbrachte, nicht einmal, an welchem der Berliner Höfe sie als Hofdame fungierte, bevor sie sich (nicht mehr in der ersten Jugendblüte) mit ihrem
fünf Jahre jüngeren Manne, dem damals sehr schö-
nen und von ihr mit schwärmerischer Liebe geliebten
Karl von Jürgaß, vermählte, mit dem sie dann auf
sein nicht großes, aber hübsches und einträgliches
Landgut Ganzer zog. Oft erzählte sie mir später von
der Verlegenheit, mit der sie sich – ein verwöhntes
und jeder häuslichen Sorge völlig überhobenes Hof-
fräulein – plötzlich an der Spitze einer großen Landwirtschaft befunden habe, deren ganzer Betrieb ihr
fremd gewesen sei. Schnell aber war ihr Entschluß
gefaßt, sich unbefangen in die Lehre einer tüchtigen
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Haushälterin zu geben, um nun, gleichsam von der
Pike an, bis zur Hausfrau hinaufzudienen. Keine Arbeit war ihr dabei so niedrig oder so schwer, daß sie
sie nicht mit eigenen Händen angegriffen hätte, je-
dem Dienstboten lernte sie die Kunstgriffe seines
besonderen Amtes ab und gelangte so sehr bald da-
zu, sich sowohl den klaren Überblick über das Ganze
wie die genaue Kenntnis aller Einzelnheiten zu ver-
schaffen. Ich denke, es war nach Jahresfrist, daß sie
sich selbst das Zeugnis ausstellen konnte, Herrin der
Situation geworden zu sein. Und nun folgte der zwei-
te energische Schritt: die gesamte Dienerschaft, von
der obersten bis zur letzten Stufe, wurde mit einem Schlage entlassen und durch eine ganz neue und
fremde Schicht ersetzt. Denn keiner im Hause sollte
die Herrin als Schülerin gekannt haben, vielmehr sollte der alleinigen Autorität ebendieser durch Kenntnis des Voraufgegangenen kein Abbruch geschehen. Sofort ging es jetzt ans Befehlen und
Selbstregieren , und kein Feldherr hat wohl je seinen Kommandostab sicherer geführt als diese echte Sol-datentochter. Bald war ihr Haushalt als der Muster-
haushalt der Gegend bekannt, und alle jungen Frau-
en auf den Rittergütern erholten sich Rat bei ihrer
unbestrittenen Autorität. Dabei war ihr Haus bald das
gastlichste in der durch ihre Gastlichkeit berühmten
Gegend und hielt doch gleichzeitig den einfachen
Charakter der Zeit sowohl in der Ausstattung der
Zimmer als auch im Hinblick auf die zwar stets über-
reichliche, aber nie künstlich verfeinerte Bewirtung
fest. Zu Tisch ward man per carte auf eine ›freund-
schaftliche Suppe‹ geladen, die sich dann freilich zu einer Masse von Gängen und Schüsseln erweiterte;
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aber immer nur treffliche Hausmannskost. Ein einzi-
ger alter Diener (Christoph) war das Faktotum des
Hauses, und gebrach es an bedienenden Händen, so
griffen die Hausmädchen zu. Mit patriarchalischer
Naivetät benachrichtigte die treffliche Frau ihre
Nachbarn und Nachbarinnen von den bevorstehen-
den Wasch- und
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