Wanderungen durch die Mark Brandenburg
die rich-
tige ist oder daß sie's nicht verwinden können, vor
lieber langer Zeit einmal reich gewesen zu sein,
gleichviel, sie haben eine Vorliebe fürs Prozessieren
und gelegentlich auch wohl für die Selbsthülfe. Es
existieren darüber viel heitre und viel traurige Ge-
schichten. Eine Geschichte dieser Art, die lustig und
traurig zugleich, spielte vor kurzem erst, als die Bu-
ckower mit ihrem »Grafen« – dem Grafen Flemming,
Besitzer der Herrschaft Buckow – in Streit gerieten.
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Dieser Streit nahm ein paar Tage lang den Charakter
an, als habe sich ein Vorgang aus dem fünfzehnten
Jahrhundert in unsre Zeit hinein verirrt; die Bürger
zogen zu Felde, schlugen die gräflichen Mannen in
die Flucht, nahmen Posseß vom streitigen Terrain
und pflanzten ihr Banner auf dem eroberten Grund
und Boden auf. Kurzum, eine mittelalterliche Fehde
in bester Form. Streitobjekt war ein Forst, den der
Graf als seine , die Stadt als ihre beanspruchte. Die Gerichte hatten zugunsten des Grafen entschieden,
aber die Stadt schüttelte den Kopf, und so geschah,
was eben gemeldet. Ein Bänkelsänger, der just des
Weges kam, hörte von dem kaum geschlichteten
Streit, und das Balladenhafte des Vorganges rasch
erkennend, brachte er alles in »neue Reime aus die-
sem Jahr«. Ich habe das Blatt zufällig in die Hand
bekommen und gebe etliche Strophen daraus.
Die Bürger von Buckow saßen beim Bier,
Das gab ein Lärmen und Streiten,
Sie sprachen vom Grafen und ihrem Prozeß,
Von Instanzen, ersten und zweiten.
Sie wußten es alle klipp und klar,
Daß der Graf die Richter betörte
Und daß der Forst, trotz erster Instanz,
Von je zur Stadt gehörte.
Drum (hieß es) hätten sie appelliert,
Und sie wußten aus guten Gründen,
Daß über ein kleines, in Woch oder Tag,
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Die Sachen ganz anders stünden.
So klang es. Nur einer saß am Tisch,
Der spielte mit Gabel und Teller
Und rief jetzt: »He! zwei Seidel frisch,
Zwei bayrisch aus dem Keller.«
Er leerte das aufgehobene Glas
Mit einem einzigen Zuge
(Seine blinzelnden Augen tranken zugleich
Aus dem stehengebliebenen Kruge);
Er strich den Schaum sich aus dem Bart
Und wetterte über die Tische:
»He, Bürger von Buckow, was immer ihr prahlt,
's sind alles faule Fische.
Ihr habt keinen Mut; dieweil ihr hie
Abschießt eure Pfeile und Bolzen,
Läßt draußen der Graf in eurem Forst
Die Tannen niederholzen.
Ihr habt keinen Mut; ich sprech es mit Scham,
Ihr seid wie andre Philister;
Wer heute die Orgel spielen will,
Der braucht ein tiefer Register.
Ihr wißt nichts von der hohen Magie,
Von dem Zauber dieser Tage,
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Der Zauber nennt sich fait accompli,
Und sein Spruch ist: Tu und wage.
Ihr kommet nie und nimmer zum Ziel
Mit Klagen, Akten und Pakten,
Es gibt nur eines, das heut hilft:
Tatsachen, Griffe, Fakten.
Greift zu, verschafft euch selber Recht
Mit euren eignen Händen –
Die Schläger des Grafen schlagen im Wald,
Wohlan, ihr müßt sie pfänden .«
Nun folgen sechs, acht Strophen, in denen beschrie-
ben wird, wie alles dem Redner zujubelt, wie die
Bürger sich rüsten und andern Tages wirklich auszie-
hen, um die »Pfändung der Gräflichen« vorzuneh-
men. Drei andre Strophen schildern den Zug selbst1);
dann endlich treten sie in den Wald.
Und als sie sich nahten dem strittigen Grund –
Da, vernehmbar aus dem Gehege
Her klangen schon durch die stille Luft
Der Holzaxt dumpfe Schläge.
Der Tag war heiß, die Luft war still,
Der Wald schwieg wie beklommen,
Nur leise rauschten die Wipfel sich zu:
»Sie sind es; die Buckower kommen.«
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Der Kampf ist nun kurz. Die gräflichen Holzschläger
strecken die Waffen, und die Sägen und Äxte werden
gepfändet. Ein Hurra klingt dreimal durch den Wald.
Aber der Sieg ist von keiner Dauer. Die Gräflichen
verstärken sich und rücken andrentags, unterstützt
durch die ganze Polizeimacht der Kreise Barnim und
Lebus, ins Feld. Die Polizei, bekanntlich ein prosai-
sches Institut ohne Glauben an Gespenster, hat auch
kein Herz für Romantik und Mittelalter und schickt
die Buckower in sehr bestimmten Ausdrücken heim.
Die Buckower sprechen noch immerzu
Vom Forst und ihrem Streite;
Und doch, wo das strittige Waldstück stand,
Da stehen jetzt Klafter und Scheite.
Und kommt ein Buckower still entlang,
Halb traurig und halb verbissen,
Da singen die Vögel so lustig. Warum?
Die Vögel werden's schon wissen.
Aber ich habe vielleicht zu lange schon bei den
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