Wanderungen durch die Mark Brandenburg
muß, und un-
ser Führer, ein Buckower Fischer, der uns bis hierher
schweigend geleitet, hebt jetzt an: »Dort unten liegt
die alte Stadt. Drüben am andern Ufer, wo Sie die
spiegelglatte Stelle sehen, dort hat Alt-Buckow ge-
standen. Wir kennen die Stelle ganz genau. Von dem
Eck dort, wo die Binsen hundert Schritt weit in den
See hineingehen, bis hier gradüber von uns, wo die
Weiden ins Wasser hängen – so weit ging die Stadt.
Ich spreche nicht von Glocken, die bei Sonnenunter-
gang klingen, Alt-Buckow hatte schwerlich Glocken,
aber das müssen Sie schon glauben, daß wir an kla-
ren Tagen zehn Fuß tief unterm Spiegel allerhand
Pfahlwerk stehen sehn, Blockhäuser vielleicht, jeden-
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falls Zaun und Steg, und mancher unter uns hat et-
was von dem Pfahlwerk herausgeholt und ihm einen
guten Platz im Hausflur gegeben. Wir denken, es ist
ein Segen dabei.« Der Erzählende machte hier eine
Pause, während deren er mich scharf ansah. Dann
fuhr er fort: »Drüben, wo die Stadt stand, ist der See
flach, wenigstens eine kurze Strecke; hier unter uns
aber ist er tief, an hundert Fuß und darüber; hier
wimmelt es auch von Fischen, aber wir haben wenig
davon. Wenn wir hier Netze ziehn, so gehen die Fi-
sche tiefer, und wollen wir ihnen nach, so kommen
wir in den alten Eichwald, der hier unten steht. Die
Maschen zerreißen dann, die Fische schlüpfen durch,
und ein paar abgebrochene Zacken sind alles, was
wir mit nach oben bringen. Ja, so hat sich's geän-
dert. Einst war alles Berg hier, und Stadt und Wald
standen zwischen hüben und drüben, wie wir beide
jetzt auf dieser Höhe stehn. In einer Nacht aber war
alles vorbei. Der Berg ging nach unten, und der See
kam herauf.«
Eine kühle Luft wehte über das Feld, und ein leises
Unbehagen lief mir über den Rücken. Indessen, ich
wußte doch nun, was es war, daß mich der Scher-
mützel so ganz anders angeblickt hatte wie manch
andrer See, und ich warf mich nieder und streckte
den Kopf über den Abgrund hinaus, wenigstens den
Wunsch im Herzen, unten ein Eichenskelett bis an
den Wasserspiegel heraufragen und die Fische durch
seine Zackenkronen hindurchhuschen zu sehn. Ich
sah es auch wirklich, aber mit dem Bewußtsein, daß
es Täuschung sei.
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Wir traten nun den Rückweg an und plauderten über
dies und das. Des Sees Sagen verließen mich nicht
und begleiteten mich bis schließlich wieder daheim,
wo ich in Büchern nachzuschlagen und nach der Vor-
geschichte des »großen Schermützel« zu suchen
begann. Was ich fand, ist das. Viele unsrer märki-
schen Seen und seeartigen Vertiefungen sollen durch
sogenannte Erdfälle entstanden sein. Man hat keine
andre Erklärung. Plötzlich und unvermittelt inmitten
eines Plateaus auftretend, wie dies namentlich beim
Schermützel-See der Fall ist, ist es nicht möglich,
von hereinbrechenden Wasserfluten, von Flußbett
oder Strömungen zu sprechen. Es ist nichts von au-
ßen Herantretendes , was die Erklärung geben kann, es muß vielmehr ein innerlicher Vorgang, ein eminent lokaler sein. Man denkt sich die Sache so. Das Innere der Erde hat Höhlen, deren Wände und De-ckengewölbe die Hand der Natur mit Kalk oder
Gipsmassen umkleidet hat. Solche natürlichen Tun-
nel sind entweder völlig hohl und leer oder aber
mehr oder weniger mit Wasser gefüllt. Über solchem
gewölbten Riesentunnel liegt Erdreich, wieviel, ist
gleichgültig, und auf dem Erdreich steht eine Stadt
oder wächst ein Wald. So geht es durch ein Jahrtau-
send. Da plötzlich, sei es durch einen Ruck von unten
oder durch sickernde Wasser von oben her, bricht
das Tunnelgewölbe ein, und wie ein Haus, das seine
Balkenlage verliert, in den Keller stürzt, so fährt nun das Erdreich mit allem, was darauf wuchs und stand,
in die plötzlich geöffnete Tiefe herab. War der Tunnel
leer, so zeigt sich nunmehr einfach eine Vertiefung,
wo sonst eine Fläche war, war der Tunnel aber um-
gekehrt ein riesiges übermauertes Wasserreservoir,
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so schlagen nun die frei gewordenen Wasser über
allem, was niedergefahren ist, zusammen, und – ein
See steht ruhig über Stadt und Wald.
Eine geognostische Autorität hat die hübsche Wen-
dung gebraucht: »daß die Natur bei der Bildung von
Erdfällen nur erst selten auf frischer Tat ertappt worden sei «, ein Umstand, zu dem wir uns, so lehrreich das Gegenteil auch sein würde, im ganzen genommen zu gratulieren haben. Wär es anders, wären wir
in der
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