Wanderungen II. Das Oderland.
denn man hat uns ja von der elffachen Wassermasse befreit. Aber überschwemmtes Land ist überschwemmtes Land, und es ist ganz gleich, ob das Wasser einen Fuß oder elf Fuß hoch auf Wiese und Acker gestanden hat.«
So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich alles geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des Deichverbandes oder gar einer Regierungslaune angesehen, bis ich schließlich mich überzeugt habe, daß das »wendische Blut« ihn doch auf falsche Wege geführt und ihn bitterer und eigensinniger gemacht hat als nötig. Die Sache ist nämlich die: Bruchländereien, in denen das Wasser vordem elf Fuß hoch zu stehen pflegte, genossen das traurige Vorrecht, alle Jahre überschwemmt zu werden, während Ländereien mit einem Fuß Wasser jahrelang von jeder Überschwemmung befreit blieben. Ein Fuß Wasser oder elf Fuß Wasser ist freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Wasser-Leute hatten eben das Wasser immer , während es die Ein-Fuß-Wasser-Leute vielleicht nur alle elf Jahre hatten. Müssen aber doch alljährlich ihre Beisteuer zahlen.
Der Winter-Falkenberger ist märkisch , der Sommer-Falkenberger ist thüringisch , eine Art Ruhlenser: freundlich, gebildet, entgegenkommend. Der Vorübergehende bietet guten Tag, gibt Auskunft, zeigt den Weg. Überall gute Form und gute Sitte, eine »Manierlichkeit«, wie sie sonst in den Marken, zumal in den Odergegenden, nicht leicht betroffen wird. Diese Manierlichkeit ist freilich zum guten Teil etwas bloß Angenommenes, aber doch nicht allein. Der modelnde Einfluß, den die Wohnstätte des Menschen auf den Menschen selber übt, zeigt sich auch hier. Die Falkenberger, solange sich ihr Auge nur auf Wasser und Wiese richtete, blieben wendisch-märkische Fischersleute von altem, etwas gröblichem Schrot und Korn; von dem Augenblick an aber, wo sie sich um die Sommerzeit ihren Bergen zuwandten, begann auch der Anblick des Schönen den Formensinn zu bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß einer so nah gelegenen und doch so spät erst entdeckten thüringischen Natur entstand etwas von thüringischer Sitte, von sächsischem Schliff. – Welch Unterschied jetzt zwischen einem märkischen Sanddorf und diesem gebirgsdorfartigen Falkenberg! In jenem findet sich nur, was nötig, im glücklichsten Falle, was nützlich ist, aber nichts von dem, was ziert und schmückt. Zieht sich nichtsdestoweniger eine Allee durch solch ein Sanddorf hin, so darf man sicher sein, daß sie ein Befehl ins Leben gerufen hat. Der freie Wille, der eigene Trieb der Dörfler hätte sie nie gepflanzt. Wie anders hier. Um die alten Obstbaumstämme rankt sich der sorglich gepflegte Efeu am Gitterdraht, Weingänge laufen an der Rückfront der Häuser hin, der Ebereschenbaum lehnt sich an den Vorbau der Häuser, und Bank und Laube haben ihren bestimmten Platz. Der Brunnen, das Bienenhaus, Kleines und Großes fügt sich malerisch in das Ganze ein, denn der Sinn für das, was gefällt, ist lebendig geworden und wirkt selbständig-tätig in jedem Moment.
Aber freilich Anleitung und Schulung ging dem »Selbständig-tätig-Sein« der Falkenberger voraus, und das Beste nach dieser Seite hin verdanken sie wohl dem Natur- und Schönheitssinn ihres nächsten Nachbars, des Besitzers von Cöthen, eines Dorfes, dessen Bergpartien und Hügelabhänge den malerischen Rahmen des mehr in der Tiefe gelegenen Falkenbergs bilden.
In dies Cöthener Bergterritorium hinein ermöglichen sich nun, als vorzüglichster Reiz eines Falkenberger Aufenthalts, allerhand Ausflüge und Partien. Wir treffen aber wohl das Richtige, wenn wir nur drei Punkte besonders namhaft machen und ihnen den Preis der Schönheit zuerkennen. Es sind dies die Karlsburg , die Idas-Eiche und der Cöthener Park . Einer kurzen Beschreibung derselben schick ich eine Beschreibung des ihnen gemeinschaftlichen Terrains voraus. Dieses Terrain ist ein nach vorn hin geöffnetes Kesseltal und hat die Form eines Hufeisens oder eines griechischen [Image: Omega]. Auf der geschlungenen Berglinie, die das Kesseltal bildet, befinden sich Kuppen, unter denen die zumeist nach vorn hin gelegenen: die Karlsburg und die Idas-Eiche (a und b), mit Recht als die schönsten gelten. Am meisten zurück gelegen liegt das Dorf Cöthen (c). Von ihm aus zieht sich dann, an einem Bach oder Fließ entlang und von Bergwänden eingefaßt, der Cöthner Park bis an die Grenze des Falkenberger Gebiets.
Die Karlsburg , ein heiteres, villenartiges Gebäude, blickt von dem
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