Wanderungen II. Das Oderland.
kissenartige Mütze, die die Gipsfigurenhändler zu tragen pflegen und die jetzt, in Ermangelung eines anderen Platzes, der Goethe-Schiller-Statue über die Köpfe gestülpt war.
So plaudernd, waren wir, eine Viertelstunde später, bis Lebus gekommen. Der Gipsfigurenmann verabschiedete sich hier, und während das Boot anlegte, hatt ich Gelegenheit, die »alte Bischofsstadt« zu betrachten.
Freilich erinnert hier nichts mehr an die Tage früheren Glanzes und Ruhmes. Die alte Kathedrale, das noch ältere Schloß, sie sind hin, und eines Lächelns kann man sich nicht erwehren, wenn man in alten Chroniken liest, daß um den Besitz von Lebus heiße Schlachten geschlagen wurden, daß hier die slawische und die germanische Welt, Polenkönige und thüringische Herzöge, in heißen Kämpfen zusammenstießen und daß der Schlachtruf mehr als einmal lautete: »Lebus oder der Tod«. Unter allen aber, denen dieser Schlachtruf jetzt ein Lächeln abnötigt, stehen wohl die Lebuser selbst obenan. Ihr Stadtsiegel ist ein »Wolf mit einem Lamm im Rachen«; die neue Zeit ist der Wolf, und Lebus selbst ist das Lamm. Mitleidslos wird es verschlungen.
Lebus, die Kathedralenstadt, ist hin, aber Lebus, das vor dreihundert Jahren einen fleißigen Weinbau trieb, das Lebus existiert noch. Wenigstens landschaftlich. Nicht daß es noch Wein an seinen Berglehnen zöge, nur eben der malerische Charakter eines Winzerstädtchens ist ihm erhalten geblieben.
Die Stadt, so klein sie ist, zerfällt in eine Ober- und Unterstadt. Jene streckt sich, so scheint es, am First des Berges hin, diese zieht sich am Ufer entlang und folgt den Windungen von Fluß und Hügel. Zwischen beiden, am Abhang, und, wie es heißt, an selber Stelle, wo einst die alte Kathedrale stand, erhebt sich jetzt die Lebuser Kirche, ein Bau aus neuer Zeit. Die »Unterstadt« hat Höfe und Treppen, die an das Wasser führen; die »Oberstadt« hat Zickzackwege und Schluchtenstraßen, die den Abhang bis an die Unterstadt hemiedersteigen. Auf diesen Wegen und Straßen bewegt sich ein Teil des städtischen Lebens und Verkehrs. Gänse und Ziegen weiden dort unter Gras und Gestrüpp; Frauengestalten, zum Teil in die malerische Tracht des Oderbruchs gekleidet, schreiten bergab; den Zickzackweg hinauf aber steigt eben unser Freund, der Gipsfigurenmann, und seine »Aurora« schimmert im Morgenstrahl.
Nun aber Kommandowort vom Radkasten aus, und unser Dampfer schaufelt weiter.
Lebus liegt zurück, und wir treten jetzt, auf etwa eine Meile hin, in jenes Terrain ein, wo Stadt und Dorf, zu beiden Seiten des Flusses, an die Tage mahnen, die jenem Kunersdorfer 12. August vorausgingen und ihm folgten . Es sind drei Namen vorzugsweise, denen wir hier begegnen: Reitwein, Göritz und Ötscher, alle drei mit der Geschichte jener Tage verwoben.
In Reitwein erschien am 10. August die Avantgarde des Königs, um eine Schiffbrücke vom linken aufs rechte Oderufer zu schlagen. Man wählte dazu die Schmälung des Flusses, wo die alte Stadt Göritz, malerisch am Hügelabhang, dem Dorfe Reitwein gegenüberliegt. Am 10. abends erschien der König selbst und führte seine Bataillone (sechzig an der Zahl) ans andre Ufer; die Kavallerie ging durch eine Furt. In Göritz aber blieb General Flemming mit sieben Bataillons zur Deckung der Schiffbrücke zurück. Zwei Tage später, am Abend des 12., befanden sich die Trümmer der geschlagenen Armee an derselben Furt, an derselben Schiffbrücke. Aber das Spiel war vertauscht; statt von links nach rechts, ging es jetzt von rechts nach links. Die Brücke, die am Abend des 10. von Reitwein nach Göritz vorwärts geführt hatte, führte jetzt, am Abend des 12., von Göritz nach Reitwein zurück .
Der König verbrachte die Nacht, eine Viertelmeile südlich von der Schiffbrücke, im Dorfe Ötscher; er schlief auf Stroh in einer verödeten Bauernhütte. Auf dem Rücken Rittmeisters von Prittwitz, der ihn gerettet, schrieb er mit Bleistift die Worte an den Minister Finckenstein: »Alles ist verloren, retten Sie die königliche Familie; Adieu für immer.« Anderntags nahm er Quartier in Reitwein, damals noch den Burgsdorfs gehörig. Hier war es, wo er die berühmte, an den General Finck gerichtete Instruktion aufsetzte, in der er den Prinzen Heinrich zum Generalissimus ernannte und den Willen aussprach, daß die Armee seinem Neffen schwören sollte.
An diesen Plätzen führt uns jetzt unsere Fahrt vorüber. Ötscher, wiewohl nah gelegen, verbirgt sich hinter Hügeln,
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