Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
beim Frühstück: »Diese malvenfarbenen Bezüge im Eßzimmer sind ein bißchen ermüdend. Sie sind so laut wie fortwährendes Geschrei. Schau dich doch in der Stadt um, meine Liebe, und such auf den Herbst neue Bezüge.«
Zwölf Stühle, die man mit einem weniger »ermüdenden« Stoff neu beziehen sollte. Ich blickte ihn verwirrt an und dachte, er mache Spaß. Aber keineswegs, er las die Zeitung und blickte ernst vor sich hin. Es war klar, daß er sich überlegt hatte, was er sagte, und daß ihn die Malvenfarbe tatsächlich irritierte. Ich will ja auch nicht leugnen, daß sie ein bißchen gewöhnlich war. Meine Mutter hatte sie ausgesucht, es waren ganz neue Bezüge. Nachdem er aus dem Haus gegangen war, mußte ich weinen. Ganz begriffsstutzig war ich ja nicht, ich wußte genau, was er hatte sagen wollen … Etwas, das man direkt und unverblümt nicht sagen konnte, nämlich daß zwischen seinem und meinem Geschmack ein Unterschied bestand, daß ich aus einer anderen Welt kam, auch wenn ich alles konnte, alles gelernt hatte und so wie er zum Mittelstand gehörte. Bloß war um mich herum alles eine Nuance anders, einen Hauch anders gefärbt, als ihm lieb und vertraut war. Der Bürgerliche ist für solche Schattierungen viel empfänglicher als der Aristokrat. Der Bürgerliche muß sich bis zu seinem Lebensende bestätigen. Der Aristokrat hat sich schon bestätigt, als er zur Welt gekommen ist. Der Bürgerliche ist gezwungen, sich fortwährend etwas zuzulegen oder zu bewahren. Mein Mann gehörte nicht mehr zu der Generation, die sich Dinge zulegt, und zur zweiten, der bewahrenden Generation gehörte er eigentlich auch nicht mehr. Davon hat er einmal gesprochen. Er las ein deutsches Buch, und er sagte, in diesem Buch habe er die Antwort auf die große Frage des Lebens gefunden.
Ich mag solche »großen Fragen« nicht – mir scheint, um einen Menschen herum gibt es immer Tausende von kleinen Fragen, und nur das Ganze, als ein Gesamt, ist wichtig –, und ich fragte ein bißchen spöttisch: »Meinst du im Ernst, daß du dich schon völlig kennst?«
»Aber sicher«, sagte er. Und er blickte mich durch seine Brille so offenherzig an, daß ich meine Frage bereute.
»Ich bin ein Künstler, bloß habe ich kein Objekt. Das kommt bei Bürgerlichen häufig vor. Es ist das Ende einer Familie.«
Dann sprach er nie mehr davon.
Ich verstand ihn damals nicht. Er schrieb nicht, er malte nicht, er machte keine Musik. Er verachtete Dilettanten. Aber er las viel, »systematisch« – so sagte er –, ein bißchen zu systematisch für meinen Geschmack. Ich las mit Leidenschaft, nach Lust und Laune. Er las, als erfülle er eine heilige Pflicht. Hatte er einmal ein Buch angefangen, so hörte er nicht auf, bis er damit fertig war, auch wenn es ihn ärgerte oder langweilte. Das Lesen war für ihn sakrosankt, er verehrte das gedruckte Wort wie die Priester ihre heiligen Texte. Und genauso hielt er es mit der Malerei, mit dieser Gesinnung ging er ins Museum, ins Theater, ins Konzert. Zu alldem hatte er eine echte Affinität. Er hatte zu allem Seelischen eine Affinität. Meine Affinität galt nur ihm.
Bloß hatte er kein »Objekt«. Er leitete die Fabrik, reiste viel, beschäftigte auch Künstler und bezahlte sie besonders gut. Doch er achtete sehr darauf, seinen Geschmack, der viel feiner war als der Geschmack der meisten seiner Angestellten und Berater, niemandem aufzuzwingen. Er versah jeden seiner Sätze mit einem Schalldämpfer, stets schien er sich zartfühlend und höflich für etwas zu entschuldigen, scheinbar ratlos und hilfebedürftig. Daneben konnte er bei wichtigen Entscheidungen, in geschäftlichen Angelegenheiten, auch starrköpfig sein.
Weißt du, was er war? Eine ganz seltene Erscheinung. Ein Mann.
Aber nicht in der Art des theatralischen Amoroso. Nicht so, wie man von einem Boxchampion sagt, er sei männlich. Seine Seele war männlich, nachdenklich und konsequent, unruhig, suchend und mißtrauisch. Auch das wußte ich damals noch nicht. Man findet so etwas nur mit großer Mühe heraus.
Im Internat haben wir so etwas nicht gelernt, du und ich, was? …
Vielleicht sollte ich damit beginnen, daß er mir eines Tages seinen Freund vorstellte, Lázár, den Schriftsteller. Kennst du ihn? … Hast du seine Bücher gelesen? … Ich habe sie alle gelesen. Habe sie geradezu durchwühlt, als steckte in seinen Büchern ein Geheimnis, das auch das Geheimnis meines Lebens war. Doch am Ende habe ich keine Antwort gefunden. Für
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