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Wanja und die wilden Hunde

Wanja und die wilden Hunde

Titel: Wanja und die wilden Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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nur einen kurzen Blick auf den Bauern und mich, dann blinzelt er wieder – scheinbar abwesend – in die Sonne.
    Ich sehe meinem Nachbarn an, dass er genauso verblüfft ist wie ich selbst.
    Ich muss das Szenario »›Hej!‹, Wasserkännchen und Fußaufstampfen« noch bei drei weiteren Bauern wiederholen. Dann nie wieder. Wanja bleibt fortan ungerührt liegen.
    So einfach war das, denke ich erstaunt.
    Bis es an mein Küchenfenster klopft.
    Wanja schießt bellend durch den Flur an die Innenseite der Haustür und wummert mit dem Kopf dagegen, als wollte er ein Loch hineinschlagen. Ich sehe durch das Küchenfenster die kleine Baba Tasja. Ängstlich weicht sie vor dem Wummern auf der anderen Seite der Tür zurück und hält schützend zwei Eier vor die Brust. Ich renne aus der Küche, schiebe mich vor den wütenden Hund und dränge Wanja mit meinem Körper zurück.
    »Hej!«, rufe ich sehr energisch.
    Wanja duckt den Kopf nach unten und starrt mich an. Er weicht zurück. Ich rechne nicht damit, dass er nach zwei Metern stehen bleibt und die Lefzen hebt. Ein leises Knurren ist zu hören. Er blickt mich auf eine so irre Art und Weise an, dass ich einen fremden Hund vor mir zu haben glaube. Er springt nach vorn, und ich gehe ihm im selben Augenblick entgegen.
    Wir prallen zusammen.
    Als erinnerte er sich plötzlich an ein Bündnis, das bisher nur ihm bekannt ist, lässt er sich auf den Boden fallen und schaut zu mir auf.
    Ich bin sehr verwirrt über die Macht, die mir dieses Wesen einräumt, und erhalte neben zwei blauen Flecken von unseren Zusammenprall jetzt auch wieder die Entscheidungsbefugnis darüber, wer mein Haus betritt.
    Wanja schlägt in Zukunft zwar an, wenn jemand kommt, überlässt den Besucher jedoch mir.
    Beruhigung zieht im Dorf ein.
    Es ist wie so oft mit Fremden: Ein Fremder muss sich das Vertrauen der Dorfbewohner doppelt erarbeiten.
    Die Dorfhunde dagegen, die schon immer in Lipowka gelebt haben, dürfen ihre Territorialgrenzen je nach Fasson klären.
    Hinter einer Wegbiegung, im Nachbarhaus von Bauer Kolja, leben drei riesige, zottelige Gesellen. Sobald ich in Sichtweite komme, stürzen sie mit furchterregendem Gebell aus ihrem Hof und umstellen mich. Der Kopf des augenscheinlichen Anführers reicht mir bis zur Taille. Er zeigt beeindruckende gelbe Zähne und gerät jedes Mal völlig außer sich vor Wut. Er bellt mich von vorne an, als hätte ich ihm die Hundehütte zerschlagen, oder Schlimmeres. Alle drei schieben mich den Weg voran, ohne mich zu berühren. Ich spüre ihren Atem auf mir und muss sagen, dass ich jedes Mal schweißgebadet bin, wenn ich diese Zone passiert habe. Bei den ersten Zusammentreffen half mir nur der Gedanke, dass alle im Dorf diese Begegnungen bisher überlebt haben.
    Obwohl dieses Trio am überzeugendsten ist, gibt es überall weitere Hunde, die aus einem Hofeingang oder einem Gebüsch hervorgejagt kommen und – je nach Typ – in wütendes Gebell ausbrechen oder uns den Weg versperren. Sie alle jedoch sind Hofhunde und keine wilden Hunde wie Wanja. Sie sind den Bauern einfach vertraut. Ihr Gebell und ihre Drohgebärden werden als das akzeptiert, was sie sind: ihre Arbeit. Alle Hunde tragen den Universalnamen Tusik (Dorfköter).

    Dorfhunde
    Sie leben in Lipowka weder an einer Kette noch im Haus. Wie die Dorfbewohner sind sie Selbstversorger. Nach Abfällen zu suchen lohnt sich für die Hunde nicht, einfach deshalb, weil es keine fressbaren Abfälle gibt. Kartoffelschalen, altes Brot, Fallobst und Gemüsestrunke erhalten die Schweine. Deshalb jagen die Hunde und können sich frei bewegen.
    Dass ich jetzt plötzlich täglich mit Wanja an den Dorfhunden vorbeimarschiere, muss für diese einer Provokation gleichkommen. Hier geht man ich »Gassi« (spazieren). Sie reagieren hysterisch und aggressiv auf ihn. Selbst ruhige Hunde benehmen sich plötzlich wie Furien. Sie schießen aus ihren Höfen, eskortieren uns knurrend durch ihr Territorium oder bellen wie verrückt. Wanja, der sonst so unerschrockene Kerl, presst seinen Kopf beim Laufen in meine Handfläche und klemmt den Schwanz ein.
    Weil die Aufmerksamkeit der Hunde jetzt Wanja und nicht mehr länger mir gilt, werde ich mutiger und gehe in gerader Haltung zielstrebig durch die jeweiligen Zonen. Mich rührt Wanjas Stirn in meiner Handfläche, und ich bewundere ihn, wie er die Situation meistert. Obwohl Wanja den meisten Hunden körperlich überlegen ist, lässt er sich von keinem provozieren und drückt seine Stirn (und lenkt

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