Wanja und die wilden Hunde
Es muss also sofort eine Handlung folgen, wenn der Hund nicht reagiert.
Wir Menschen sind oft wie kaputte Ampeln: Wir springen ständig auf Gelb, ohne je auf Rot zu schalten, oder wechseln gleich von Grün auf Rot. Wir warnen also mehrmals, ohne zu handeln, oder handeln, ohne vorher zu warnen. Wir selbst würden uns jedoch niemals nach einer Ampel richten, die immer nur auf Gelb schaltet und nie auf Rot, und einer Ampel, die ständig unvermittelt auf Rot springt, würden wir nicht trauen.
Sobald der Hund mit dem aufhört, was er abbrechen sollte, ist die Harmonie wiederhergestellt – und Sie können und sollten ihm das mit einer entspannten Körperhaltung, einem Lächeln oder einem freundlichen Blick mitteilen. Der Hund darf nicht den Eindruck gewinnen, dass Ihre Beziehung auf dem Spiel steht, sondern verstehen, dass es gerade nur um ein bestimmtes Verhalten ging, das er unterlassen sollte. Ansonsten gefährden Sie Ihre Beziehung langfristig tatsächlich.
Führungsenergie
Wenn Menschen keine Führungsenergie besitzen, also eher schüchtern oder zurückhaltend sind und sich deshalb fragen, wie sie ihren Hund führen sollen, hier eine gute Nachricht: Auch unter Hunden gibt es nur sehr wenige, die geborene Anführer sind. Unter Tausenden von Hunden habe ich bisher nur acht Hunde mit einer natürlichen Leithundmentalität kennenlernen dürfen. Die Mehrzahl der Hundehalter muss also keinen Hund führen, der selbst souverän ist, sondern nur einen »ganz normalen« oder eher unsicheren Hund. Diesen zu führen bedeutet nicht dieselbe Verantwortung wie die Leitung eines großen Konzerns zu übernehmen. Es geht nur darum herauszufinden, was genau der jeweilige Hund braucht, um sich sicher zu fühlen.
Wenn Menschen Probleme damit haben, ihrem Hund körperlich Grenzen zu setzen, sollte geklärt werden, ob es daran liegt, dass sie in ihrem eigenen Leben ungute Erfahrungen mit körperlichen Maßregelungen oder ähnlichem gemacht haben. Bitte denken Sie daran: Egal, was wir in der Biografie eines Menschen finden, es entspricht nicht der Erfahrung des Hundes.
Ein Abbruchsignal ist keine »Schreckschusspistole«
Eine verbreitete Methode, ein Abbruchsignal zu konditionieren, geht wie folgt: Futter wird auf dem Boden verteilt. Wenn der Hund sich ihm nähert, ruft der Halter »Schluss« und zeitgleich wirft der/die Trainer/in eine Wurfkette neben den Hund. Begründet wird diese Methode damit, dass der Hund das Wort »Schluss« auf diese Weise für immer als Abbruchsignal erkennen, die Kette aber zugleich nicht mit dem Halter verbinden und so keine Angst vor diesem bekommen würde.
Stellen Sie sich nun vor, Sie hätten gerade eine/n neue/n Partner/in kennengelernt. Sie wollen sichergehen, dass diese Person künftig in jeder Situation sofort versteht, wenn etwas an ihrem Verhalten Sie stört. Dafür beauftragen Sie mich. Ich habe einen Hundert-Euro-Schein auf den Waldweg gelegt, den Sie zusammen mit dieser Person gerade entlanglaufen, und verstecke mich hinter einem Baum. Ihre Begleitung bückt sich erfreut, um den Fund aufzuheben. Sie schreien hysterisch »Nein!«, und ich werfe im selben Moment eine schwere Kette dicht neben die Person. In Zukunft wird sie diesen Weg sicher nicht mehr gehen wollen und erschrickt nun jedes Mal, sobald Sie »Nein« sagen (falls sie überhaupt bei Ihnen bleibt).
»Stopp« sagen zu können ist ein wichtiger Teil unseres Umgangs miteinander. Es ist ein Signal, das uns davor bewahrt, immer gleich zuschlagen zu müssen, wenn wir etwas nicht wollen. Ein Abbruchsignal in der oben beschriebenen Weise konditionieren zu wollen, zeigt aus der Sicht des Hundes kein soziales Verhalten des Menschen, der so agiert.
Situativer Umgang mit dem Hund statt sinnlose Prinzipien
Da wir Hunde angeblich nicht situativ lenken können, ist es zum Beispiel unter Hundehaltern ein ungeschriebenes Gesetz, am Bordstein aus Prinzip stehenzubleiben und den Hund sitzen und/oder warten zu lassen – auch wenn die Ampel gerade Grün zeigt oder weit und breit kein Auto in Sicht ist. Ohne Hund würden wir hier jedoch genauso vorgehen, wie Leithunde es an einer potentiell gefährlichen Stelle tun würden: Wir würden schauen, hören, entscheiden und handeln. Je nach Situation gingen wir hinüber oder blieben stehen.
Warum also agieren wir zusammen mit unserem Hund nicht genauso?
Dazu bedarf es nur eines Abbruchsignals, um zu verhindern, dass der Hund bei Gefahr über die Straße läuft. Wenn keine Gefahr in Sicht- und Hörweite
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