Wanja und die wilden Hunde
etwas hinter mir.
Als ich mich umdrehe, sehe ich Viktor, der in meinen Fußspuren und in meinem Takt ganz dicht hinter mir läuft. Unser beider Gang wirkt, als ob wir ein und dasselbe Wesen sind, nur in zwei verschiedenen Ausführungen.
Viktor, 19-jährig
Es ist, als schiebe er mich den Weg voran.
Sein Blick ist ruhig. Friedlich. Sehr bei mir. Beschützend.
Ich wache auf …
… und fühle in diesem Moment, dass er mir mein Leben ein zweites Mal zurückgegeben hat, auch wenn es erst einmal voller Trauer ist.
Nach einem Winter kommt ein Frühling. Irgendwann.
Das weiß ich.
Kleine Hundekunde
Hundeerziehung ist heute kein beliebiges Thema mehr, sondern erinnert inzwischen an einen Kampf der Religionen. Nach dem Motto »Strafen Sie noch oder füttern Sie schon?« treten die unterschiedlichen Erziehungsmethoden gegeneinander an. Wie sehr wir uns bei all den zunächst originell und gut klingenden Konzepten vom eigentlichen Thema, dem Hund, entfernt haben, dürfte allen klar sein, die solche Methoden bereits angewendet haben, deren Problem jedoch weiterhin besteht – genauso wie denen, die mit einer (vorerst) gestörten Beziehung zu ihrem Hund zurückgeblieben sind.
Die neuesten Methoden und Erkenntnisse werden beworben wie ein Waschmittel, das dank neuer Formel besser sein soll als je zuvor. Doch auf dem Gebiet der Hundeerziehung gibt es nichts Neues. Uns Menschen ist es mit unseren Erziehungsmodellen einfach nicht gelungen, das, was Hunde in ihrer Art ausmacht, dauerhaft zu verändern oder zu unterdrücken. Hunde wollen weiterhin jagen, sich – auch einmal aggressiv – miteinander auseinandersetzen, lieber in einer Gruppe als alleine sein, ihr Territorium lautstark verteidigen und viele andere Dinge mehr, die UNS in UNSEREM Alltag womöglich stören.
Auch die modernste Methode sagt nur etwas darüber aus, wie ratlos wir nach wie vor sind – ratlos, wie wir mit den von unserer Seite aus unerwünschten Eigenschaften eines Hundes umgehen könnten. Wäre es anders, hätte man gar keine noch »modernere« Methode entwickeln müssen. Gäbe es auf dem Gebiet der Hundeerziehung irgendetwas, das unseren Hund zuverlässig »justieren« könnte, würden wir alle es anwenden und nicht weiter verzweifelt nach immer neuen Methoden suchen.
Was aber, wenn wir uns bisher nur in die falsche Richtung bewegt hätten? Was, wenn es nicht etwas Neues wäre, das uns helfen würde, unseren Hund zu verstehen und mit ihm umzugehen, sondern etwas sehr Altes?
Etwas, das zuverlässig genauso lange funktioniert, wie es Hunde gibt: Es ist ihre eigene Art, sich miteinander zu verständigen und erzieherisch miteinander umzugehen. Ihre Kommunikation ist nach wie vor ursprünglich und einfach. Sie telefonieren nicht, schreiben sich keine Mails, sie simsen und twittern nicht.
Warum also machen wir uns diese Einfachheit nicht zunutze? Meinen wir, da wir selbst so kompliziert sind, muss die Verständigung mit einem anderen Wesen ebenso kompliziert sein?
Die Annahme, das Wesen von Hunden erklären zu können, weil wir mittlerweile ihr Lernverhalten erforscht und damit auch eine mögliche Form zu ihrer Konditionierung gefunden haben, ist beschämend. Hunde sind keine Konditionierungsmaschinen, sondern hochsoziale Wesen. Ihr Lernverhalten macht nur einen Teil ihres Wesens und Lebens aus, und man kann sich situativ mit ihnen verständigen, ohne für jede erdenkliche Situation vorher geübt haben zu müssen.
Im Sommer hatten wir einen schlimmen Fall in einem unserer Seminare. Es ging um einen großen Hund, der bereits in sieben Hundeschulen nach menschlichen Erziehungsmodellen hatte lernen sollen, nicht mehr an der Leine zu ziehen. Bei ihm war in einer schmerzvollen Prozedur der Leinenruck mit einem Stachelhalsband und einem Würger angewendet worden, woraufhin er nach dem Trainer zu schnappen begann und zum aggressiven Hund erklärt wurde. Er war mit der Leine geschlagen worden, man hatte ihm Leckerlis neben den Fuß gehalten, die Richtung war gewechselt worden, wenn er zog, oder sein Mensch blieb als »Baum« angewurzelt in der Landschaft stehen – alles nur, damit der Hund endlich begriff, dass er nicht mehr ziehen soll. In der letzten Hundeschule stach man ihm dann mit einer Nadel in die Nase, sobald er nach vorne ging, woraufhin der Hund wieder schnappte und sein Ruf als aggressives Tier in Zement gegossen war.
Nachdem wir ihm im Seminar den Maulkorb, das Stachelhalsband und den Würger abgenommen hatten, kam ein sehr großes
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