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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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den Stift abzusetzen. In einer einzigen Linie waren beide Figuren ineinander verwoben, somit nicht nur kämpferisch, nein auch zeichnerisch eine Einheit: der Torrero kurz vor dem todbringenden Stoß und der heranstürmende Stier. Meine Mutter freute sich sehr über das Bild und hängte es noch am selben Tag – mein Bruder war beim Angeln – in sein Zimmer. Er kam nach Hause, sah sein Geburtstagsgeschenk über seinem eigenen Bett hängen, ging zu meiner Mutter und fragte: »Mama, was macht der Stierkämpfer in meinem Zimmer?« Und meine Mutter antwortete liebevoll: »Der hängt da gut, nicht wahr? Ich fand das einfach den schönsten Platz.« Mein Bruder sagte: »Ja, aber das ist doch dein Bild. Das hab ich dir geschenkt.« Und meine Mutter munter weiter und sehr großzügig: »Das ist völlig in Ordnung. Ich leih es dir!« Dass daraufhin mein Bruder türenknallend in seinem Zimmer verschwand, war ihr ein Rätsel. Aus tiefster Anteilnahme fragte sie meinen Vater: »Was hat er nur? Wahrscheinlich nichts gefangen!«
    Der Auslöser meines Zusammenbruchs war ähnlich. Da ich meinem Vater endlich etwas anderes als einen Untersetzer schenken wollte, hatte ich mir etwas ganz Spezielles ausgedacht. Er liebte Marzipankartoffeln. Mein Plan war es, ihm zum Vierzigsten vierzig davon zu schenken. Aber nicht gekaufte, sondern selbst gemachte. Von mir! Das war ein – da war ich mir sicher – fantastischer Einfall. So würde ich meinen Brüdern auf Geschenk-Augenhöhe begegnen. Ein Achtjähriger scheut keine Mühe, wird zum Zuckerbäcker und kreiert für seinen Vater dessen Lieblings-Süßigkeit.
    Ich hatte mir von meiner Mutter das Rezept besorgen lassen und gemeinsam mit ihr die Zutaten gekauft. Die Liste klang exotisch: Mandeln, Puderzucker, Bittermandelöl und Kakaopulver. Eine Zutat, das gefiel mir besonders gut, mussten wir aus der Apotheke holen: Rosenwasser. Die Marzipankartoffel war demnach mehr als nur eine Süßigkeit, sie war eine Arznei. Ich ging sehr sorgfältig vor und verbat mir jegliche Unterstützung mütterlicherseits. Wahrscheinlich sind noch nie zuvor fünfhundert Gramm Mandeln so exakt abgewogen worden wie von mir. Drei zu viel, zwei zu wenig. Eine zu groß, die andere zu klein. Die alles entscheidende knabberte ich halb durch. Da kam meine Mutter vorbei und sagte vorsichtig: »Du musst die schälen!« Mandeln schälen? Sollte das ein Witz sein? »Die Schale ist doch schon ab, Mama! Mandeln sind Nüsse!« »Ja, aber schau mal hier, diese braune Haut muss auch noch weg. Soll ich dir nicht helfen? Die muss man mit kochendem Wasser übergießen.«
    Ich hatte Sorge, dass, wenn ich nicht alles zu hundert Prozent selbst machte, meine Brüder sagen würden: Das ist also das Geschenk von Mama und dir? Doch ich hatte keine Ahnung, was sie meinte, und nahm zögerlich ihre Hilfe an. Die Mandeln wurden abgebrüht, und tatsächlich konnte ich sie danach ganz einfach aus ihren Hüllen quetschen. Sie flutschten nur so heraus. Ich trat einen Schritt zurück und schoss warme Mandelkerne in die Schüssel. Ich zerkleinerte sie, mischte den zuvor gesiebten Puderzucker unter, gab Bittermandelöl hinzu und – genau abgezählt: dreißig Tropfen Rosenwasser. Ich knetete die Masse durch. Es roch tatsächlich nach Marzipan. In diesem Moment war ich mir sicher, nie mehr etwas anderes als genau das machen zu wollen. Ich hatte meine Bestimmung gefunden. Ich würde der beste Marzipankartoffelhersteller aller Zeiten werden. Rollend, mit den Handballen, formte ich kirschgroße Kugeln. So stand es im Rezept: kirschgroß. Darüber wunderte ich mich ein wenig. Von mir aus hätte dort auch marzipankartoffelgroß stehen können. Jeder wusste doch, wie groß sie sind. Würde in einem Rezept für einen Kirschkuchen stehen: marzipankartoffelgroße Kirschen? Nein, niemals!
    Ich formte vierzig Kartoffeln, für jedes Jahr eine. Da begriff ich zum ersten Mal, wie alt mein Vater wirklich war. Wie viel älter als ich. Bei der ersten Kartoffel sagte ich laut: »Eins.« Mein Vater ist ein Jahr. Was für eine absonderliche Vorstellung. Mein einjähriger Babyvater. Bei der achten Kartoffel war er so alt wie ich. Ich fand acht viel, aber auf dem Blech sah es verdammt wenig aus. So ging es weiter, bis die Vierzig voll war. Bei jeder Marzipankartoffel, die zwischen meinen Handflächen kreiste, spürte ich ein wenig von der Vergänglichkeit eines Jahres. Wie viel und gleichzeitig wenig das war, so ein Marzipanjahr. Ich rollte und träumte und sah eine

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