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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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kakaobestäubte Zukunft vor mir.
    Ich löffelte den Kakao in eine Schale und stellte ihn neben das Blech. Ich musste aufs Klo. Um ein Austrocknen der Kartoffeln zu verhindern, tränkte ich ein Küchenhandtuch mit Wasser, wrang es mit aller Kraft aus und breitete es schützend und befeuchtend über mein Werk. Auf der Toilette sitzend überlegte ich, wie ich mein grandioses Geschenk am effektvollsten verpacken könnte. Jede einzeln war Quatsch. Im Geschäft waren sie in einem durchsichtigen Zellophan-Säckchen, aber das schien mir doch arg unter meinen Möglichkeiten. Im Badezimmer war es ganz still. Am Morgen war die Putzfrau da gewesen, und es kam mir jedes Mal so vor, als ob das blitzeblanke Badezimmer viel stiller war als das nicht ganz so saubere. Auch mein gesaugtes und aufgeräumtes Kinderzimmer war nach ihrem Besuch stets etwas betäubt, und erst wenn ich meine Schuhe in die Ecke gepfeffert und die Bettdecke zerwühlt hatte, kam es wieder zu sich. Wenn ich krank war und nicht in die Schule musste, saß ich gerne auf dem zugeklappten Klodeckel und sah meinem Vater dabei zu, wie er sich wusch und rasierte. Er trug nichts weiter als eine seiner riesigen Unterhosen. Sein Rücken war dunkel behaart, und für einen Mann, der niemals Sport trieb, hatte er ein erstaunlich breites Kreuz. Jeden Morgen rieb er sich mit einem mit Rasierwasser getränkten Wattebausch die Glatze sauber, bis sie rötlich glänzte. Er zeigte mir die graudreckige Watte: »Ist doch unglaublich, was da immer runterkommt, obwohl ich geduscht habe.«
    Er rasierte sich elektrisch, drückte so fest auf, bis die Haut leicht gereizt babyglatt war. Der Ton des Rasierers verriet mir, wie lange es noch dauern würde, bis er fertig war. Das Raspel-Geräusch wurde leiser und leiser. Schließlich surrte es nur noch hell, und der Rasierer glitt reibungslos über die weiche Vaterhaut. Um sich zu rasieren, klappte er die beiden Spiegeltürchen des Allibert-Schränkchens leicht auf. Auf allen drei Teilen dieses Spiegel-Triptychons war nun der rosige Vater zu sehen. Wenn ich meine Augen, was ich oft und gerne tat, etwas unscharf stellte, sah ich einen dreiköpfigen, mehräugigen Mann mit verschachteltem Mund und haarigem Rücken. Dieses unscharfe Ungetüm konnte drei Dinge gleichzeitig: die Rede für die Belegschaftsversammlung üben, sich rasieren und mehrere Zigaretten in den Mundwinkeln einklemmen, deren Asche einfach ins Waschbecken fiel.
    An der Wand hing an einem Haken ein Lappen, der nur eine einzige Funktion hatte: der gefürchtete Polappen. Mit ihm wischte sich mein Vater jeden Morgen, nachdem er sich eine halbe Stunde eingeschlossen hatte, den Hintern sauber, und meine Brüder und ich, bestimmt auch meine Mutter, hatten einen Heidenrespekt vor diesem Ding. Meine Brüder drohten mir, mein Gesicht damit zu waschen oder, völlig absurd, mich zu zwingen, daran zu saugen. »Wenn du Papas Polappen auslutschst, darfst du ein Jahr lang jeden Tag durch mein Mikroskop sehen«, sagte mein mittlerer Bruder.
    Im stillen Badezimmer war mir eine gute Idee für die Verpackung der Marzipankartoffeln gekommen. Ich wollte aus Alufolie ein vierzig-muldiges Tablett formen. Vielleicht fand ich in meinem Zimmer eine Murmel, mit der sich die Ausbuchtungen modellieren ließen. Schnell ging ich zurück in die Küche.
    Das Blech war leer. Das feuchte Handtuch lag zusammengeknüllt auf dem Küchentisch. Mein erster Verdacht war der Hund. Aber hatte ich ihn nicht eben tief schlafend auf den Windfangfliesen liegen gesehen? Oder tat er nur so? Hatte er das Maul voller Marzipankartoffeln und stellte sich tot? Ich rannte zu ihm und zog ihm die Lefzen hoch. Er schrak auf, wusste überhaupt nicht, was ich wollte und warum ich ihm an der Zunge zerrte. Ich rannte zurück in die Küche. Da entdeckte ich eine mit einem Suppenteller zugedeckte Schale auf dem Kühlschrank, die, da war ich mir sicher, vorher noch nicht dagestanden hatte. Um die Schale herum waren Kakaopulverspuren zu erkennen.
    Ich hob den Deckel von der Schüssel. Da lagen sie! Dunkelbraun, sauber aufgetürmt, eine Pyramide aus bestäubten Kugeln. Fix und fertig – kakaoüberzogen. Ich schrie auf. Meine Mutter kam angelaufen, voller Sorge, mir wäre etwas zugestoßen: »Was ist denn passiert?« Ich wusste plötzlich nicht mehr, wie ein ganzer Satz geht. Wie man anfängt und aufhört. Ich zeigte auf die Schüssel und brüllte: »Waaaaass?« Und gleich noch mal: »Waaaaaaass!?!« Meine Mutter verstand nichts, sah mich

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